Was passiert, wenn sich in Fessenheim ein Atomunfall ereignet? Das Regierungspräsidium Freiburg hat nun Notfallpläne vorgestellt. Doch selbst in der Theorie sind diese kaum zu bewältigen.
Es mutete an wie eine Mischung aus Science-Fiction und Satire: die Vorstellung der Katastrophenschutzpläne für das Atomkraftwerk Fessenheim im Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Klar ist, dass nichts klar ist und die Herausforderung Atomunfall selbst in der Theorie kaum zu bewältigen ist.
2014 hat die Strahlenschutzkommission erweiterte Sicherheitszonen um Atomkraftwerke empfohlen und neue Zeitvorgaben für die Evakuierung der Menschen in diesen Gebieten gemacht. Die sogenannte Außenzone umfasst jetzt 100 statt bislang 25 Kilometer rund um die Anlage. Die Mittelzone wurde von 10 auf 20 Kilometer ausgeweitet. Die Bevölkerung dort muss innerhalb von 24 Stunden nach Alarmierung evakuiert und in der Hälfte der Zeit müssen die Jodtabletten verteilt sein. Mit Zentralzone war das Gebiet zwei Kilometer rund um das Atomkraftwerk gemeint, jetzt sind es fünf Kilometer. In sechs Stunden soll evakuiert sein.
"Zwei Drittel macht sich selbst von dannen."
Nicht jeder müsse evakuiert werden
Für den Landkreis bedeutet das nach ersten Berechnungen des Regierungspräsidiums (RP) Freiburg: Bei einem Atomunfall in Fessenheim müssen in sechs Stunden die Bewohner des Hartheimer Ortsteils Bremgarten, aus Neuenburg-Grißheim sowie der gesamte Gewerbepark Breisgau umgesiedelt werden. Das RP gibt hier Zahlen von 4150 an, davon 1800 Beschäftigte im Gewerbepark. Werden nicht nur die Ortsteile, sondern die Gesamtgemeinden plus Gewerbepark evakuiert, sind es 20 460 Menschen. In der 20 Kilometer umfassenden Mittelzone, die in 24 Stunden evakuiert werden muss, sind 26 Kreiskommunen und damit nochmal rund 130 000 Menschen betroffen. Zusammen mit den entsprechenden Orts- und Stadtteilen Freiburgs sind es 164 000 Menschen, geht es um die gesamte Stadt steigt die Zahl auf 344 000.
Laut Hermann Ringhof, Leiter des Referats Polizeirecht, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Rettungsdienst beim RP, gehe man aber nur von einem Drittel der Bevölkerung aus, die von Behördenseite evakuiert werden muss: "Zwei Drittel macht sich selbst von dannen." Evakuiert werden soll mit Bussen, in Stadt und Kreis stünden 526 zur Verfügung – rein theoretisch versteht sich.
Wer koordiniert im Ernstfall die Evakuierung?
Abschließend festgelegt sind die genauen Verläufe der Evakuierungszonen noch nicht, denn es gibt Kuriositäten, gegen die im Rahmen der Ende April abgeschlossenen Anhörung Einsprüche erhoben wurden. Beispiel Vogtsburg: Bei einem Gau in Fessenheim würde nur Achkarren – weil es im 20-Kilometer-Radius liegt – evakuiert, die anderen sechs Ortsteile nicht. "Das kann man den Bürgern nicht begreiflich machen. Radioaktivität macht doch nicht an Ortsschildern Halt", sagte Bürgermeister Gabriel Schweizer in der Sitzung. Den Verwaltungsstrukturen müsse Rechnung getragen und ganz Vogtsburg in die Evakuierungspläne einbezogen werden. Das fordert auch Bollschweil für St. Ulrich und Freiburg für sein gesamtes Stadtgebiet. Heitersheim möchte Teilflächen der Zentralzone zugeordnete haben. "Das ist eine Gratwanderung zwischen verständlichen Wünschen und Machbarkeit", entgegnete Hermann Ringhof. Jede Änderung wecke neue Ansprüche.
Unklar ist, wie und wo die für die neue Mittelzone erforderlichen Jodtabletten gelagert werden und wer diese bezahlt, so Ringhof. Auch weiß keiner, wo im Ernstfall die Evakuierung koordiniert wird – "denn auch Regierungspräsidium und Landratsamt werden unter Umständen evakuiert". Grünen-Kreisrat Martin Richter – seine Fraktion hatte die Vorstellung der Pläne beantragt – sprach von einer "Aufgabe, die nicht bewältigt werden kann." Wichtig jedoch seien schnelle und umfassende Informationen. Schallstadts Bürgermeister Jörg Czybulka (FWG) nannte die Pläne "grotesk". Einmal mehr war sich der Ausschuss einig, dass nur das Abschalten des Meilers die Lösung sein kann.
Mehr zum Thema:
Protest: Tausende demonstrieren für die Abschaltung von Fessenheim
Rückblick: Neuer Evakuierungsplan bei einem Gau – ein Mammutprojekt (März 2014)
Online Kommentare
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Die veröffentlichten Kommentare geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
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Carl Ludwig: 07. Mai 2015 - 00:54 Uhr
Liebe Franzosen, schaltet ab- jetzt! Unverantwortlich sowas weiter laufen zu lassen. Aber die, die dass entscheiden trifft dass ja nicht. Paris ist ja weit genug entfernt.
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Gustav Rosa: 07. Mai 2015 - 02:34 Uhr
Ich habe Bilder von sowjetischen Liquidatoren gesehen, die in blindem Gehorsam und voller Unwissenheit in Tschernobyl "aufgeräumt" haben. Ich habe die Gesichter von japanischen "Helfern" gesehen, die in Fukushima voller Pflichtbewusstsein in die Todeszone gefahren sind...
Ich sehe in unserer Ellenbogengesellschaft keinen Busfahrer, der im hochverstrahlten Dreyeckland geduldig wartet, bis auch der letzte Evakuierende eingestiegen ist und sich dann geordnet in den fließenden Verkehr einreiht!
Ich sehe vielmehr verzweifelte Menschen, die in höchster Panik völlig rücksichtslos versuchen werden, die eigene Haut zu retten: Verstopfte Straßen, ineinander verkeilte Fahrzeuge und ein Riesenchaos...
73% haben laut jüngster Umfrage Angst vor einem GAU in Fessenheim - 0,1% tun etwas dagegen - 100% werden betroffen sein. Da helfen im Ernstfall die schönsten Notfallpläne rein gar nichts.
Wann fällt endlich Hirn vom Himmel und lässt Vernunft einkehren: Abschalten jetzt!
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Sebastian Loesch: 07. Mai 2015 - 02:53 Uhr
Ehrlich gesagt bin ich der Meinung, dass erst einmal wieder etwas "passieren" muss, damit die Menschen in Europa es realisieren.
Mit "passieren" meine ich: Peng.
Und ganz ehrlich...
Ich werde dann in Freiburg bleiben, es kann mich keiner zwingen aus meiner Heimat zu flüchten, nur weil ein paar Bonzen den Rachen nicht voll bekommen konnten und die zwei Reaktoren in Fessenheim wie eine Zitrone bis zum Knall ausgepresst haben. Dann wird sowieso der ganze Oberrhein-Aquifer kontaminiert sein - somit ist ganz Europa betroffen.
Ich weiß wie gefährlich Radioaktivität ist, wenn sie außer Kontrolle gerät. Im Falle eines Falles wärs mir aber egal. :) Absurd, ich weiß...
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Wolfgang Stockbauer: 07. Mai 2015 - 06:55 Uhr
jetzt geht's wieder los, mit den höchst qualifizierten Kommentare. Sofort abschalten hatten wir schon, geht nicht. Evakuieren geht nicht, wohin und mit was die Menschen umsiedeln, und was ist mit den Krankenhäuser, Pflegeheime und sonstigen Einrichtungen. Die Kinder wären evt. in der Schule, Kindergarten oder auf dem Spielplatz. Bitteschön, wer soll so etwas koordinieren und leiten? Wenn es hier rumst, haben bzw. bekommen wir den größten Friedhof in Deutschland, auch in Frankreich. Was bewirkt ein sofortiges Abschalten, die Gefahr bleibt doch auf Jahre weiterhin bestehen. Deshalb nochmals die provokante Frage, ist ein kontrolliertes Weiterbetreiben nicht evt. doch das kleinere Übel. Jeder Fortschritt hat nun mal seinen Preis...
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Mathias Meyer: 07. Mai 2015 - 07:17 Uhr
Die Notfallpläne sind reine Makulatur und dienen höchstens der Beschönigung, Besänftigung, Blendung, wie das Thema Endlagerstätte
Selbst wenn noch so anschauliche Zahlen und Fakten auf den Tisch kommen würden - die Befürworter und Ignoranten wird's nicht kümmern.
Wenn man diese Personen "markieren" und bei einem Eventualeinsatz zuerst an die Front zum Aufräumen schicken könnte, gäbe es auf einen Schlag deutlich mehr Kritiker und Atomgegner.
Phrasen und Sprechblasen wie
"wir haben die Atomenergie im Griff"
"die Atomenergie ist sicher"
"sauberste Energieform, weil ohne CO2"
"statistisch die Energie mit den geringsten Verletzungsrisiko"
könnten nicht mehr so hirnlos ausgesprochen werden.
Hier zeigt sich der wahre Fatalismus:
Menschen sind Manövriermasse. Solange sie den Strom zahlen, werden sie akzeptiert. Bei einem Unfall (dumm gelaufen) ist sowieso alles zu spät, und der Reibach schon längst gemacht. Folgeschäden werden auf die Schultern der Restbevölkerung verteilt. Es wird sich danach sicher wieder ein kleiner Personenkreis finden, um an derselbsen Stelle weiterzumachen, wo alles aufgehört hat...
Insofern - dumme Welt.
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Hans-Otto Glaser: 07. Mai 2015 - 07:34 Uhr
So wie wir unsere Eltern und Großeltern einmal gefragt haben: "Wie konntet ihr nur?...." (das Hitlerregime wählen)
So werden wir eines Tages gefragt werden: "Wie konntet ihr nur die Zeitbombe Fessenheim weiterlaufen lassen?"
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Michael Riedle: 07. Mai 2015 - 08:08 Uhr
Es wird eher mal gefragt werden, wer war so doof Atomkraftwerde zu bauen, so haben unsere Nachfahren in x zehntausenden von Jahren noch etwas von uns. Sarkophage, die Pyramiden der Zukunft.
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jürgen hauke: 07. Mai 2015 - 09:05 Uhr
-> www.badische-zeitung.de/bonndorf/wir-haben-es-verlernt-mit-katastrophen-umzugehen--102149711.html
: "Wir haben es verlernt, mit Katastrophen umzugehen"
= Verhöhnung der Bevölkerung.
Wie das gesamte Ding: diereisezumsicherstenortdererde.ch/de/
(am 16.6. im Markgräfler Kino Müllheim!
-> www.agus-markgraeflerland.de/index.php)
Schließlich: https://de.wikipedia.org/wiki/Cui_bono - Cui Bono?
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Frank Wanning: 07. Mai 2015 - 09:19 Uhr
Was wollt Ihr, Leute? Mit DEM Volk können sie es machen. Wenn das irgend jemand beunruhigen würde, wären da täglich Demos.
Der GAU wird kommen. Aber natürlich keine Gefahr für die Bevölkerung. Die Menschen leben weiter wie bisher. Radioaktiver Gutedel? Zum Wohl!