In Deutschland und den Nachbarländern kriselt die Kraftwerksbranche, weil im Großhandel die Strompreise verfallen.
FREIBURG. Die Energiekonzerne haben in Deutschland in den letzten Jahren massiv an Ertragskraft eingebüßt – aber nicht nur hier. Auch in Nachbarländern wie Frankreich, der Schweiz oder den Niederlanden gerät die etablierte Energiewirtschaft durch enorme Überkapazitäten zunehmend wirtschaftlich unter Druck.
Der Schweizer Stromkonzern Axpo spricht gar von einer Stromschwemme. Die Folge des Überflusses ist ein ruinöser Preisverfall im Großhandel: In Deutschland und Österreich kostet Grundlaststrom aktuell nur noch halb so viel wie vor fünf Jahren, in der Schweiz ist der Börsenstrom im gleichen Zeitraum um rund 40 Prozent billiger geworden. Und auch in Frankreich sinken die Preise.
Entsprechend trüb sind die Bilanzen der betreffenden Unternehmen. Der baden-württembergische Stromkonzern EnBW schloss das Jahr 2014 mit einem Verlust von 451 Millionen Euro ab, Eon musste gar einen Rekordverlust von gut drei Milliarden Euro verkünden. Unterdessen konnte RWE zwar für 2014 wieder einen Gewinn ausweisen, was aber vor allem daran lag, dass der Essener Konzern Wertberichtigungen in Milliardenhöhe bereits 2013 vorgenommen und seinerzeit einen Rekordverlust bilanziert hatte.
In der deutschen Kraftwerkswirtschaft hinterlässt zwar auch der Atomausstieg seine Spuren, doch die Situation in anderen Ländern zeigt deutlich, dass der Ausstieg nicht die alleinige Ursache der Branchenkrise ist. Zum Beispiel musste die Axpo in der Schweiz das vergangene Geschäftsjahr mit einem Verlust von 730 Millionen Schweizer Franken abschließen. Und in den Niederlanden wie in Großbritannien erleiden vor allem Betreiber von Gaskraftwerken Einbußen.
Selbst im Atomland Frankreich kriselt die Atomwirtschaft. Der weltgrößte Atomkonzern, die französische Areva, fuhr im vergangenen Jahr einen Rekordverlust von 4,8 Milliarden Euro ein. Der Kurs der Areva-Aktie ist seit Mai 2008 um mehr als 90 Prozent gefallen, die Ratingagentur Standard & Poor's hat die Papiere des Akw-Bauers gar zur "spekulativen Anlage" herabgestuft. Branchenkenner halten weitere Verwerfungen in der Branche für möglich: "In fünf bis zehn Jahren könnten große Energiekonzerne Pleite gehen", sagte kürzlich Mycle Schneider, Energie- und Atompolitikberater in Paris.
In der Schweiz erklärte jüngst eine Studie im Auftrag der grünen Partei die Axpo zum "finanziellen Großrisiko für den Kanton Zürich". Der ist mit 36 Prozent Anteil größter Axpo-Anteilseigner. Die Firma selbst sieht die Zukunft ebenfalls nicht gerade rosig: "Wir stellen uns darauf ein, die nächsten zehn Jahre von der Substanz zu leben", sagte jüngst Verwaltungsratspräsident Robert Lombardini.
In Frankreich soll unterdessen der französische Staatskonzern EdF Teile der strauchelnden Areva übernehmen, aber auch der hat in den letzten fünf Jahren 40 Prozent seines Börsenwerts verloren. In Deutschland versucht unterdessen Eon mit einer Abspaltung des kriselnden Kraftwerksgeschäfts (in eine neue Firma namens Uniper) sich der Altlasten zu entledigen – Ausgang ungewiss. Manche sprechen von einer "Bad Bank", also einer Abwicklungsgesellschaft.
So sucht jeder in der Branche seine eigenen Wege. Aber sie alle wissen, dass sich die Situation erst wieder entspannen kann, wenn in großem Stil Kraftwerke aus dem Markt genommen werden. Nur will kein Kraftwerksbetreiber damit anfangen. Schließlich werden mit jedem Kraftwerk, das stillgelegt wird, die verbleibenden Anlagen wieder ein wenig lukrativer – und deswegen testen die Firmen nun aus, wer den längsten Atem hat.
Eine theoretische Lösung präsentierte kürzlich Greenpeace: Würde Deutschland 36 der ältesten Kohlekraftwerke sofort abschalten, würde der Börsenstrompreis geringfügig ansteigen, und zwar so weit, dass Gaskraftwerke wieder kostendeckend produzieren könnten. Mit dieser Kohle-Notbremse könne Deutschland außerdem 70 Millionen Tonnen des Klimagiftes Kohlendioxid (CO2) jährlich einsparen; eine sichere Stromversorgung sei dennoch garantiert.
Ob nun durch politisches Eingreifen, oder rein vom Verfall des Strompreises an der Börse getrieben – der Druck auf die Großkraftwerke dürfte weiterhin zunehmen. Aus mehreren Gründen: Erstens wird die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien europaweit in den nächsten Jahren nochmals deutlich ansteigen; in Deutschland wird im Jahr 2015 vor allem die Windkraftproduktion auf See massiv zulegen. Zweitens würde, wenn das Thema Energieeffizienz mal so engagiert angegangen wie ständig diskutiert wird, weiterer Druck auf die Stromerzeuger entstehen.
Drittens muss man sich vor Augen halten, dass derzeit im größten europäischen Markt die Wirtschaft brummt; Deutschland exportierte in den letzten Monaten so viele Waren wie nie zuvor. Sobald dieser Boom nachlässt, werden die Überkapazitäten am Kraftwerksmarkt erst recht zutage treten.