BREISACH (just) Am 18. Februar 1975 hätte in der kleinen Gemeinde Wyhl mit dem Bau eines Atomkraftwerkes begonnen werden sollen. Dass hier kein Meiler steht, verdanken die Menschen in der Region einer Protestbewegung, die bis heute ihres Gleichen sucht. Ob Landwirte und Winzer oder Universitätsprofessoren, Künstler und Studenten – diesseits und jenseits des Rheines formierte sich ein Widerstand, der das Projekt letztlich verhinderte. Auf die Zeit vor 40 Jahren blickten auf Einladung des oberrheinischen Komitees in der voll besetzten Spitalkirche zwei Männer zurück, die damals dabei gewesen waren.
Der mutige Müller
Siegfried Göpper lebt in Weisweil, ist Landwirt, Inhaber der "Göpper Mühle" und mittlerweile 85 Jahre alt. Es war um die Weihnachtszeit 1971, als der Müller einen anonymen Anruf erhielt. "Im benachbarten Wyhl soll ein Atomkraftwerk gebaut werden", sagte der Unbekannte am anderen Ende der Leitung. Müller schwieg, aber in seiner damaligen Funktion als Vorsitzender der Jagdgenossenschaft hielt er vorausschauend die Pachteinnahmen zusammen. Göppers Informant sollte Recht behalten. Im Jahr darauf wurde zunächst Breisach als Standort bekannt gegeben. Aufgrund heftiger Proteste wich man schließlich auf Wyhl aus, wo sich in einer Bürgerbefragung 55 Prozent der Einwohner für das Akw aussprachen. "Bürgermeister Wolfgang Zimmer war ehrgeizig. Den Menschen wurden Schwimmbäder, Festhallen und Arbeitsplätze versprochen", so Göpper. Die "Kriegskasse" der Jagdgenossen wurde zum finanziellen Grundstock für den Widerstand gegen die Baupläne der Regierung Hans Filbinger. Denn neben dem "klassischen" Protest mit Unterschriftenaktionen und Bauplatzbesetzung wurde der Kampf gegen das Akw auch zum jahrelangen Streit vor den Gerichten. Die "Göpper Mühle" wurde zu einer Zentrale des Widerstandes, Göpper selbst zum "Staatsfeind". "Es ist schon schlimm gewesen, eine Art Kriegszustand", erinnert sich der alte Herr noch heute deutlich bewegt. Von zweistelliger Millionenklage, über den Bau einer Kläranlage direkt neben Göppers Mühle bis zum Abschalten der Stromversorgung seines Betriebes reichten die Repressalien gegen den unbequemen Kämpfer. Göpper kaufte sich ein Notstromaggregat und – für alle Fälle – eine Farm in Kanada. Bis heute ist Siegfried Göpper überzeugter Atomkraftgegner. "Wir dürfen auf keinen Fall aufgeben, denn es ist eine unverantwortliche Technologie", sagt er, auch mit Blick auf das Akw Fessenheim.
Ein Polizist wechselt die Seiten
In jüngster Zeit gab es solche Bilder beim Protest gegen "Stuttgart 21" zu sehen: Polizeikräfte gehen, teils massiv, gegen Demonstranten vor. Ähnliche Szenen spielten sich bei der ersten Räumung des Bauplatzes für das Akw in Wyhl am 20. Februar 1975 ab. Mit Hundestaffeln und Wasserwerfern vertrieb die Polizei die Platzbesetzer, darunter auch Frauen und Kinder. "Ich hatte damals eine gewisse Aversion gegen Demonstranten", gesteht der heute 78-jährige Polizeihauptkommissar im Ruhestand, Hans Weide. Diese waren mit ihm und seinen Kollegen von der Bereitschaftspolizei oft wenig zimperlich umgegangen. "Aber am Kaiserstuhl hat sich das ganz schnell gelegt", sagt Weide über die andere Protestkultur in und um Wyhl. Als er 1975 einen Einsatz gegen die Platzbesetzter leiten sollte, verweigerte Weide den Befehl. "Ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren", begründete er seine Entscheidung vor seinem Vorgesetzten. Weide hatte Glück. Er blieb Polizist und wurde lediglich versetzt. Auch Hans Weide ist bis heute bekennender Atomkraftgegner, und auch bei ihm wirken die Ereignisse rund um den Protest in Wyhl nach. Unter anderem in seinem Roman "Rote Sonne – Schwarze Nacht", der eine fiktive Handlung rund um die Zeit des Widerstandes erzählt, hat der Polizist seine Erlebnisse und Eindrücke verarbeitet. Zum Abschluss der Veranstaltung las er aus diesem Buch. Gastgeber Gustav Rosa von der Montagsmahnwache Breisach überreichte den beiden Zeitzeugen eine Flasche Crémant als Rhein überschreitendes Dankeschön.