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10-10-15
Rubrik: Pressebericht, Fessenheim
Das lange Warten auf das Aus

Arbeitgeber für die Elsässer, für viele Badener die Bedrohung schlechthin – das Atomkraftwerk Fessenheim.


Akw-Dämmerung: die Lichter Fessenheims, fotografiert während der Mondfinsternis von Bad Krozingen aus Foto: Wolfgang Schneider/dpa

Wer von Deutschland aus die einspurige Rheinbrücke bei Hartheim überquert, kurz vor der Schleuse auf den Damm fährt und dann einige Meter weiterspaziert, schaut direkt auf die beiden Betonzylinder. So nah, als könnte man hinüberpaddeln und dort mal eben guten Tag sagen. Aktivisten von Greenpeace haben das im Frühjahr des Vorjahres tatsächlich getan. Sie sind auf das Gelände vorgedrungen, auf einen der beiden Zylinder geklettert und haben bewiesen, wie schlecht dieses Haus gegen Eindringlinge geschützt ist – das Atomkraftwerk Fessenheim.

So fühlen sich viele Menschen in der deutschen Nachbarschaft schon immer – einem Risiko schutzlos ausgeliefert. "Mit jeder Fehlermeldung aus Fessenheim", bestätigt Kathrin Schönberger, Bürgermeisterin im badischen Hartheim, "wächst die Unruhe." In Schönbergers Büro im Rathaus hängt ein Luftbild. Im Zentrum sieht man die Gemeinde, Wohnhäuser der 5000 Einwohner, Agrarflächen – und oben rechts das Akw, drei Kilometer Luftlinie entfernt. Eine trügerische Randexistenz.

Aus französischer Perspektive sind die beiden Reaktorgebäude nicht zu sehen; das Maschinengebäude, ein gigantischer silbriger Kasten, steht davor. Doch gerade hier, in Fessenheim, hätte man gegen den Anblick nichts einzuwenden. Es ist ein verregneter Nachmittag. Das Dorf wirkt wie ausgestorben. Zwischen Kirchturm und Rathaus flattert ein Banner: "Vereint bewahren wir unser Atomkraftwerk."

Die Identifikation der knapp 2400 Einwohner mit dem Akw ist groß. Bedeutet es für die badischen Nachbarn die Bedrohung schlechthin, so ist es für die Bewohner hier Synonym für Wohlstand und Sicherheit. "Ich bin dafür", sagt Anne-Marie Pfeiffer, eine Rentnerin, die auf einen Bankautomaten zusteuert. "Ich lebe seit Jahrzehnten hier", sagt sie. "Es wurde doch immer wieder technisch nachgebessert. So viele Millionen hat man investiert. Das kann doch nicht umsonst gewesen sein." Sie sagt das freundlich, nicht so wie die Gewerkschafter aus dem Akw, die wütend gegen alle protestieren, die ihnen ihren Arbeitsplatz wegnehmen wollen.

Kathrin Schönberger, die Atomkraftgegnerin im Hartheimer Rathaus, hat das Unverständnis der elsässischen Nachbarn zu spüren bekommen. Im Frühsommer hatte die Bürgermeisterin an den französischen Staatspräsidenten geschrieben. Er möge doch bitte sein Wahlversprechen einlösen und für die Stilllegung des Pannenreaktors in der Nachbarschaft sorgen. Claude Brender, ihr Amtskollege von Fessenheim, bekam wohl über die französischen Kanäle vom Inhalt des Schreibens Wind und reagierte – diplomatisch ausgedrückt – unfreundlich.

Dabei hatte Schönberger dem Kollegen den Brief angekündigt. "Er ist in meiner Gemeinderatssitzung erschienen", erzählt sie, "und hat einen Text verlesen." Er stellte sich hin und verkündete, wie stolz sie alle auf ihr Atomkraftwerk seien. Ihr Eindruck war, er drohe damit, die Freundschaft aufzukündigen. "Dabei ist es doch meine Aufgabe, die Sorgen der Bevölkerung hier ernst zu nehmen."

Schönberger versteht nicht, "dass man das Akw so positiv verkaufen kann". Aber viele Konservative im Elsass halten daran fest. Sie glauben an seine Sicherheit und prangern den Verlust von mindestens 1000 Arbeitsplätzen an. Und das Doppelte an Jobs, wird geschätzt, könnte seine Schließung die Region kosten, rechnet man die Kaufkraft der Beschäftigten mit ein.

Hat Paris immer noch Schließungspläne? Seit die Sozialisten mit Unterstützung der Grünen 2012 die Regierung übernommen haben, versprechen sie, Fessenheim abzuschalten. In den vergangenen Wochen aber sendeten Staatspräsident François Hollande und seine Regierung höchst widersprüchliche Signale. Bei einem Straßburg-Besuch Anfang September verschob Umweltministerin Ségolène Royal die Stilllegung auf 2018. Ursprünglich sollte die Stilllegung bis dahin längst in die Tat umgesetzt worden sein. Schuld sind nun erneute Verzögerungen beim Bau des EPR (European Pressurised Reactor) im nordfranzösischen Flamanville. Die mögliche Abschaltung des Akw in Fessenheim ist, so lautet bislang die offizielle Darstellung, direkt an die Inbetriebnahme des EPR gekoppelt.

Heute liefern Atomkraftwerke 75 Prozent des Stroms in Frankreich. Ein im Juli verabschiedetes Energiegesetz begrenzt die zulässige Menge des Atomstroms auf 50 Prozent. Électricité de France (EdF), der staatliche Stromkonzern und Akw-Betreiber, soll deshalb, sobald er den EPR nutzen will, im Gegenzug ein Akw gleicher Leistung vom Netz nehmen.

Als in Deutschland sofort der Ärger hochkochte, versuchte Royal tags darauf von Paris aus, die Wogen zu glätten: Die Vorbereitungen zur Stilllegung, beteuerte sie, würden schon 2016 eingeleitet. Doch auch der Staatspräsident äußerte sich zunehmend undeutlich. "Ich würde mir endlich verbindliche Aussagen wünschen", sagt die Bürgermeisterin aus Hartheim. Und warum überhaupt so kompliziert? "In Deutschland haben wir doch schon einige Akw abgeschaltet."

Als Hollande und Angela Merkel diese Woche gemeinsam das Europäische Parlament in Straßburg besuchten, verteilten französische Atomkraftgegner Handzettel mit dem Aufdruck: "Hollande menteur" – Hollande, du Lügner. Schlimmer als in diesen Wochen war es um Hollandes Glaubwürdigkeit noch nie bestellt. Die Sozialisten müssen bei den kommenden Wahlen – im Dezember steht die Regionalwahl an, 2017 die Präsidentschaftswahl – mit herben Verlusten rechnen. Werden sie ihren Schließungsplan für Fessenheim rechtzeitig umsetzen können? War nun alle Hoffnung vergebens?

"Nein", sagt Denis Baupin, Abgeordneter der französischen Grünen und Vizepräsident der französischen Nationalversammlung. "EdF muss sich bis kommenden Montag die Bauarbeiten am EPR neu genehmigen lassen" – 18 Monate, bevor die geltende Genehmigung ausläuft. Entscheidend sei nicht die Inbetriebnahme des EPR. Vielmehr müsse der Betreiber jetzt festlegen, welches Akw er im Tausch für den EPR vom Netz nehmen wird. "Es könnte höchstens sein", räumt Baupin ein, "dass dieser Punkt um wenige Wochen hinausgezögert wird." Vier Monate später, also im ersten Jahresdrittel 2016, werde die Regierung dann ein Dekret zur Stilllegung von Fessenheim beschließen. Das habe auch der Regierungssprecher bestätigt. "Für mich gibt es deshalb keinen Zweifel daran, dass es auf Fessenheim hinausläuft", beteuert der Abgeordnete.

Wollte eine neue Regierung diesen Prozess umkehren, so Baupin, müsste eine neue Genehmigung her. "Fessenheim entspricht aber nicht mehr den erforderlichen Standards, auch wenn EdF das Gegenteil behauptet. Der Präsident der Atomaufsicht hat mir öffentlich bestätigt, dass die Anlage nicht auf dem Stand ist, den Atomkraftwerke seit Fukushima erfüllen müssen." Eine Nachrüstung werde Hunderte Millionen kosten – zusätzlich zu den Summen, die schon in die Verstärkung der Bodenplatten der Reaktoren oder in Notstromgeneratoren geflossen sind. Gegner haben deren Sinn und Zweck ohnehin immer bestritten. Der französische Netzbetreiber RTE hat übrigens bekräftigt: Eine Abschaltung Fessenheims wird Frankreich keine Versorgungsprobleme machen.
Eine Abschaltung würde die Versorgung nicht gefährden

Was Baupin aufzählt, spielt eigentlich den Atomkraftgegnern am Oberrhein in die Hände. Ruedi Rechsteiner, Vizepräsident des Trinationalen Atomschutzverbandes (Tras), fürchtet dennoch, die aktuelle Regierung könnte ihren Einfluss auf die Stilllegung mit der nächsten Präsidentschaftswahl verlieren. Deshalb schlägt Rechsteiner einen Weg vor, um auf eine verbindliche Schließung hinzuarbeiten: einen deutsch-französischen Vertrag, in dem eine Maximalfrist bis zur Abschaltung festgelegt sein müsste.

Kathrin Schönberger wartet noch auf Antwort aus Paris und vertraut einstweilen auf Logik: "Wenn die Franzosen weniger Atomstrom wollen, müssen sie doch sowieso irgendwann anfangen, Atomkraftwerke zu schließen", sagt sie. Warum also nicht mit dem ältesten anfangen?

 Online Kommentare:
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Die veröffentlichten Kommentare geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Gustav Rosa: 10. Oktober 2015 - 09:57 Uhr

    "Anne-Marie Pfeiffer, eine Rentnerin, die auf einen Bankautomaten zusteuert" ist auf alle Fälle DIE Koriphäe auf dem Gebiet "Sicherheit" des Atomkraftwerks Fessenheim! Sie kann bestimmt auch erklären, wieso gleich mehrere Dutzend Greenpeaceaktivisten auf der Kuppel des einen Reaktors ihre Banner ausbreiten konnten. Da ist sie in guter Gesellschaft: ASN, EDF und AKW-Direktion konnten das auch nicht!

    Die Totschlagargumente "Wohlstand" und "Arbeitsplätze" sind inzwischen auch schon mehrfach wiederlegt worden.
    Logisches Denken bleiben laut diesem Bericht Baupin, Rechsteiner und Schönberger vorbehalten. Das lässt aufhorchen...

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irene schwarz: 10. Oktober 2015 - 10:26 Uhr

    Selbst wenn das "Ding" hochgeht, würden die (meisten) Menschen nichts daraus lernen. Einfältigkeit, Bequemheit und Profitdenken sind vorrangig. Ist doch alles in Ordnung, Hauptsache Schnitzel auf dem Teller, Bundesliga gucken und der Rasen ist gemäht...;-)

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Wolfgang Stockbauer: 10. Oktober 2015 - 22:10 Uhr

    Gustav Rosa
    "DIE Koriphäe auf dem Gebiet Sicherheit"
    Sie können aber auch nicht das Gegenteil beweisen.
    "Die Totschlagargumente Wohlstand und Arbeitsplätze"
    gehe davon aus, daß sie ein wohlhabender Rentner (hoffentlich nicht auch noch Pensionär) sind.
    "Logisches Denken bleiben"
    das kommt wohl darauf an, von welcher Seite aus man es sieht
    PS: "Kathrin Schönberger wartet noch auf Antwort aus Paris und vertraut einstweilen auf Logik"
    Frau Schönberger, ich befürchte, daß sie das während ihrer verbleibenden Amtstzeit nicht mehr erleben werden...

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Dieter Neufeld: 11. Oktober 2015 - 06:35 Uhr

    "Logisches Denken bleiben laut diesem Bericht Baupin, Rechsteiner und Schönberger vorbehalten. Das lässt aufhorchen..."

    Bei allem Respekt. Was hatte zum Beispiel der Brief mit Logik zu tun? Mit typischer Anmaßung, bringe ich diesen Brief in Verbindung. Das war und ist ein Beispiel wie Dummheit und Arroganz, Hand in Hand Unheil anrichten. Aber Energiepolitik hat generell eher nichts, aber auch gar nichts mit Logik zu tun. Dieser Brief ist Wahlkampf auf unterem populistischem Niveau. Andere Persönlichkeit hergab setzen, eigene Leute in einer Opferrolle darzustellen und sich als Einzigen in der Sache als fachlich kompetent und gerecht darzustellen, ist eine typisch deutsche Verhaltensart.

    Energiepolitik ist Verdrängungspolitik der Realitäten.
    Das aktive Belügen der Bevölkerung, ist ein spezieller "typisch deutscher Wert". Wobei das gezielte manipulieren der Bevölkerung in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert und ein hohes Niveau eingenommen hat.

    Kein deutscher Politiker mag Sach-Arbeit, noch das jeweilig "betroffene" Volk. Baupin, Royal und Co, sind für mich typisch deutscher Politiker, logische Ergebnisse erreicht man mit den sicher nicht. Das will man auch nicht, schon gar nicht die Grünen oder Roten (die anderen Farben, wollen ebenso wenig). Es ist sogar noch schlimmer, speziell die Grünen, tun alles, dass die Atomkraftwerke nicht verschwinden, schließlich ist man über die Atomindustrie, zu "Amt und Würden" gekommen. Selbst soziale oder ökologische Werte werden dafür verraten!

    Wie gesagt das war und ist ein Beispiel wie Dummheit und Arroganz, Hand in Hand Unheil anrichten, einen Gemeinsamen verbindlichen Schliessungsplan, wird man trotz des Angebots von Royal, nicht ausarbeiten. Typisch Deutsch, eben.

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Gustav Rosa: 11. Oktober 2015 - 20:47 Uhr

    Bärbel Nückles hat versucht, ein umfassendes Stimmungsbild zum Thema "Endgültige Stilllegung des Atomkraftwerks Fessenheim" einzufangen und wiederzugeben. Das Thema ist inzwischen so komplex, dass ein kleiner Pressebericht bei weitem nicht ausreicht, allen Beteiligten gerecht zu werden.
    Ebenso wenig reicht ein kurzer Kommentar. Es gibt andere Orte und Möglichkeiten um ausführlich darüber zu diskutieren. Online Kommentare sind dazu gedacht, eigene Gedanken über den Inhalt eines Artikels zu äußern und nicht um untereinander ideologische Debatten zu führen. Darum erneut mein Angebot zum persönlichen Gespräch. Dann kann Herr Wolfgang Stockbauer auch erfahren, dass ich weder "ein wohlhabender Rentner", noch ein Harz IV Empfänger bin. Das wollen die Leser der Badischen Zeitung jetzt aber auch nicht wirklich und unbedingt wissen...


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