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30-05-15

Kernenergie

Die Last mit dem Atommüll: Wer soll das bezahlen?


In 500 Metern Tiefe lagern im Endlager Morsleben (Bördekreis) Fässer mit Atommüll (Aufnahme von 2009). Foto: DPA

Im Jahr 2022 sollen in Deutschland die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Was bleibt, ist der strahlende Müll. Seine Entsorgung wird sehr viel Geld kosten.

Muss die Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke sowie der Atommüllentsorgung in Deutschland neu geregelt werden? Darüber will das Bundeskanzleramt noch vor der parlamentarischen Sommerpause entscheiden. Denn es ist fraglich, ob in Zukunft genug Geld zur Verfügung stehen wird, wenn man das heutige Modell der Rückstellungen beibehält.

Bislang haben die vier Betreiber der deutschen Atomkraftwerke in ihren Bilanzen zusammen rund 38 Milliarden Euro an Rückstellungen für die Entsorgung gebildet. Und doch besteht ein erhebliches Risiko, dass am Ende der Staat für die Hinterlassenschaften einer Branche aufkommen muss, die über Jahrzehnte hinweg viel Geld verdient und an ihre Eigentümer ausgeschüttet hat.

Kritisch ist die heutige Konstruktion an drei Punkten. Zunächst ist unklar, ob die kalkulierten Summen ausreichen, um die Entsorgungskosten zu decken. In der Endlager-Suchkommission des Bundestages kursierten bereits Schätzungen, wonach 50 bis 70 Milliarden Euro nötig werden könnten. Die zweite Schwachstelle liegt darin, dass Rückstellungen keineswegs auch Rücklagen sind. Denn Rückstellungen sind nur ein Konstrukt im Bilanzrecht: Die Firma verbucht lediglich die wahrscheinlichen Kosten vorzeitig. Das müssen aber kleine flüssigen Mittel sein, es können zum Beispiel auch Kraftwerke sein, die das nötige Geld erst noch verdienen müssen.

Genau das hatte RWE-Chef Peter Terium kürzlich ausgesprochen: "Wir brauchen das Geld, das wir in der Braunkohle noch verdienen, auch für den Rückbau der Kernkraftwerke und die Endlagerung." Greenpeace empörte sich daraufhin, RWE habe seine Atomrückstellungen "verzockt". Dabei hatte der RWE-Chef nur verdeutlicht, wie anfällig das Konstrukt der Atomrückstellungen gegenüber unternehmerischen Risiken von jeher ist. So  müsste RWE für zehn Milliarden Entsorgungskosten geradestehen – an der Börse ist der Konzern aktuell nur wenig mehr wert.

Ein drittes Risiko für die Finanzierung der Entsorgung resultiert aus dem Aufbau der Konzerne. Denn Betreiber der Reaktoren sind mitnichten die großen Konzerne, die Eon AG oder die EnBW AG, sondern deren Kraftwerkssparten wie die Eon Kernkraft GmbH und die EnBW Kernkraft GmbH. Und sie sind es auch, die grundsätzlich für die Entsorgung aufkommen müssen, nicht die Mutterkonzerne. Nun könnten bei einer solchen Konstruktion die Kernkraft-Töchter unter den Entsorgungskosten zusammenbrechen, während die Mütter unbehelligt blieben. Um das auszuschließen, rang die Bundesregierung den Konzernen im Rahmen des Atomausstiegs im Jahr 2000 sogenannte "Patronatserklärungen", beziehungsweise Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge ab. Auf deren Grundlage haften dann auch die Mütter für ihre Töchter. Doch das wird nicht immer so bleiben: Von April 2022 an können die Konzernmütter diese Verträge kündigen. Und es liegt nahe, dass sie es tun werden.

Wirtschaftsminister Gabriel plant einen Stresstest

Aufgrund dieser vielfältigen Risiken sieht die Bundesregierung zunehmend Handlungsbedarf. Auch die renommierte Energierechtskanzlei Becker Büttner Held kam jetzt in einem Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums zu dem Ergebnis, es bestünden "auf Basis der gegenwärtigen Rechtslage Risiken faktischer und rechtlicher Art, dass die durch die Betreibergesellschaften getroffene finanzielle Vorsorge im Kernenergiebereich nicht ausreicht."

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel plant nun einen Stresstest, der ermitteln soll, wie sicher die Finanzierung der Entsorgung tatsächlich ist. Dass am Ende ein neues Modell an die Stelle der aktuellen Regelung treten wird, gilt als wahrscheinlich. Unklar ist, ob dies in Form einer Stiftung oder eines Fonds geschehen wird. Der ehemalige Wirtschaftsminister Werner Müller, heute Vorsitzender der Kohlestiftung, hat am Freitag ein Stiftungsmodell vorgeschlagen. Dazu müssten die Konzerne Vermögen in die Stiftung einbringen, die dann die Ewigkeitskosten deckt. Die Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl bezeichnete den Vorschlag als "Kniefall vor den Konzernen", weil eventuell ungedeckte Kosten dann beim Steuerzahler hängen blieben. Sie sprach sich für eine Fonds-Lösung aus (siehe unten).

Bereits 1999 hatte Gabriels Parteifreund Hermann Scheer einen Gesetzentwurf für die Bildung eines solchen Fonds vorgelegt. Doch selbst unter der rot-grünen Regierung konnte Scheer sich nicht durchsetzen; die Regierung wollte damals die begonnenen Ausstiegsgespräche mit der Atombranche nicht gefährden. Also behielt man die Rückstellungspraxis bei.

Online Kommentare:
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Die veröffentlichten Kommentare geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

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Rainer Klute: 31. Mai 2015 - 14:09 Uhr

Das Problem ist die von Grund auf falsche Konstruktion. In Deutschland gilt die Endlagerung ja leider als alternativlos und wird nicht weiter hinterfragt. Kaum jemand weiß, daß die hochradioaktiven  Abfälle gar kein Müll sind, sondern Brennstoff für die Kernreaktoren der nächsten Generation darstellen. Rund 96 Prozent der ursprünglichen Energiemenge sind nämlich noch drin.

Würden wir den Atomausstieg rückgängig machen und solche modernen Reaktoren bauen, hätten wir es nicht mehr mit Kosten der Endlagerung zu tun, sondern stattdessen mit Gewinnen aus CO2-freier Stromerzeugung.

In Südaustralien wird dies gerade diskutiert. Mehr dazu: nuklearia.de/2015/05/25/aus-fuer-kernenergie/.

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Jürgen Arnemann: 31. Mai 2015 - 14:12 Uhr

Wer Abfälle verursacht muss sie auch beseitigen. So machen das alle Firmen. Die Kraftwerke haben
Milliarden verdient, da müssen sie selber für die Endlagerung sorgen, oder es ins All schießen.

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Rainer Klute: 31. Mai 2015 - 14:57 Uhr

Ja und nein, Herr Arnemann.

Ja, weil das Verursacherprinzip gilt und das im Atomgesetz auch so festgeschrieben ist – übrigens unabhängig davon, ob irgendwer damit Milliarden verdient hat oder nicht.

Nein, weil Recycling viel besser zur Entsorgung taugt als Endlagerung. Mit jedem anderen Müll machen wir das ja auch so.

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Gustav Rosa: 31. Mai 2015 - 20:42 Uhr

Alles schöne Theorie… Leider erinnert das sehr an die Alchimisten, die im Mittelalter davon überzeugt waren, aus Blei Gold machen zu können.

Und sollte IFR auch wirklich funktionieren, bleiben noch die Risiken beim Betrieb der bestehenden Atomkraftwerke und während des Transports. Wir können uns in Europa keinen atomaren Unfälle, wie sie in Harrisburg, Tschernobyl oder Fukushima passiert sind, leisten. Dieser freigesetzte Atommüll kann niemals regeneriert werden. Er belastet inzwischen fast die ganze Welt.

Und dass Atomkraft vollkommen CO2-neutral ist, ist auch ein Märchen. Vom Erzabbau über die Transportwege und Aufbereitung und auch während des Betriebs entsteht massenweise CO2 - das gilt zwar auch für Wind- und Photovoltaikanlagen, doch sind hier die Mengen wesentlich geringer.

Deutschland ist mit dem Atomausstieg auf dem richtigen Weg. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien.

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