Eine klare Richtung ist beim besten Willen nicht mehr zu erkennen. Da verkündet Frankreichs Umweltministerin Ségolène Royal, die Schließung des Atomkraftwerks Fessenheim verschiebe sich auf 2018. Royals deutsche Kollegin Barbara Hendricks bekundet Bedauern. Umweltschützer auf beiden Seiten des Rheins reagieren empört, ja entsetzt. "Das ist der Tropfen, der das Kühlbecken zum Überlaufen bringt", schimpft die Grünen-Abgeordnete Cécile Duflot. Ein paar Stunden später dementiert die Ministerin sich selbst, twittert, die Stilllegung verschiebe sich doch nicht.
Hinter dem Eiertanz der Sozialistin steckt die Choreographie des französischen Staatschefs, der einander entgegengesetzte Ziele ausgegeben hat. François Hollande, im Dezember Gastgeber der Weltklimakonferenz, will beim Umweltschutz vorneweg marschieren. Der Präsident will aber auch als Wirtschaftspolitiker vorankommen, was nicht zuletzt heißt: Frankreichs notleidende Atomwirtschaft stärken.
So hat sich Hollande einerseits verpflichtet, Frankreichs ältesten und, wie die Rekordzahl an Zwischenfällen signalisiert, marodesten Atommeiler bis Ende der Legislaturperiode stillzulegen, also bis Mai 2017. Ursprünglich sollte das 1977 in Betrieb gegangene Akw schon 2016 schließen. Auch dies hatte Hollande versprochen. Im Wahlkampf 2012 war das gewesen, als der Sozialist um die Gunst der den Grünen verbundenen Mitbürger warb. Im Trend der Zeit schien der Präsident damit zu liegen, hatte die Reaktorkatastrophe von Fukushima doch den Konsens ins Wanken gebracht, dass das Land Bequerels und des Ehepaares Curie sein Heil in der Atomkraft suchen müsse.
Zugleich sieht sich der Präsident aber in der Pflicht, Frankreichs Atomwirtschaft zu fördern. Sie schreibt gigantische Verluste. Der mittlerweile in seine Bestandteile zerlegte und teilweise in den Stromriesen EdF eingegliederte frühere Weltmarktführer Areva hat es im vergangenen Jahr auf ein Minus von 4,8 Milliarden Euro gebracht. 6000 der 44 000 Beschäftigten haben im Zuge der Umstrukturierung ihren Arbeitsplatz verloren. Unter dem Eindruck der Fukushima-Katastrophe waren Aufträge storniert worden. Hinzu kamen Managementfehler.
Der als technisches Meisterwerk angekündigte Reaktor der dritten Generation, der Druckwasserreaktor EPR, erwies sich als Milliardengrab. Die ursprünglich 2012 geplante Inbetriebnahme des am Ärmelkanal gebauten Reaktors hat sich im Zuge immer neuer Pannen um sechs Jahre verzögert. Die einst auf 3,3 Milliarden geschätzten Baukosten haben die Zehn-Milliardenschwelle überschritten. Ein Ausweg aus dem Dilemma ist nicht in Sicht. Zu Tage getreten war es bereits Ende Juli bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Energiewende. Es weist das Ziel aus, den Anteil des Atomstroms am Energiebedarf des Landes bis zum Jahr 2025 von zurzeit 75 auf 50 Prozent zu senken. Zugleich schreibt es aber die derzeitige Atomstromproduktion von 63 Gigawatt als Obergrenze fest. Detaillierte Reduktionspläne sucht man vergebens. Und sie sollen, hält man sich an die Worte von Umweltministerin Royal, so schnell auch nicht kommen.
Vielleicht wird die Laufzeit von 40 auf 50 Jahre erhöht
Fessenheim könne nicht wie geplant 2017 abgeschaltet werden, weil erst 2018 mit dem dann ans Netz gehenden neuen EPR-Reaktor von Flamanville Ersatz vorhanden sei, hatte die Ministerin am Dienstag zu verstehen gegeben. Anders gesagt: Die Atomstrommenge von 63 Gigawatt soll auf Jahre hinaus erhalten bleiben. Dass die Regierung sich anschickt, das bisherige Höchstalter für Reaktoren von 40 auf 50 Jahre zu erhöhen, passt ins Bild. Ohne eine Laufzeitverlängerung müssten im Lauf der nächsten zehn Jahre zwei Dutzend Reaktoren abgeschaltet werden. Fessenheim wäre als ältestes Atomkraftwerk 2017 an der Reihe.
Hollandes Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy hatte 2012 Klartext geredet. "Dieses Atomkraftwerk zumachen, läuft Frankreichs Interessen zutiefst zuwider", sagte er bei einem Besuch in Fessenheim. Im Hinblick auf die notleidende Atomkraftbranche und die wirtschaftlichen Interessen des Landes dürfte Hollande das heute ähnlich sehen. Dass der Präsident hoffen darf, an anderer Front als Umweltschützer zu glänzen, dürfte seine Bereitschaft zum Stilllegen von Atommeilern schmälern. Als Ausrichter der Weltklimakonferenz gedenkt er, nach ökologischem Lorbeer zu greifen. Als Klimaschützer muss er sich der Atomkraftwerke nicht schämen, im Gegenteil. Atomreaktoren sind CO2-neutral. Anders als Sarkozy hat Hollande aber eben auch sein Wort gegeben, Fessenheim dichtzumachen. Und anders als der Konservative braucht der Sozialist bald wieder die Rückendeckung von Grünen und vor allem der grün denkenden Wählerschaft. Hollande will 2017 nämlich ein neues Mandat erringen. Der Eiertanz um Fessenheim geht also weiter.
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Online Kommentare:
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Gustav Rosa: 11. September 2015 - 10:07 Uhr
Akkurat recherchiert, gebündelt zusammengefasst und treffend kommentiert. Allerdings auch alles längstens bekannt.
Eiertanz beschreibt die Atompolitik bestens. Dazu passen die Begriffe "dünne Schale", "zerbrechlich" und vor allem "faule Eier". Die große Glucke Atomlobby brütet unverdrossen weiter, und der europäische Michel guckt NICHT zu sondern schaut weg...
Pegida erobert die Medien und treibt Zehntausende auf die Straße - die Antitatom-Protestbewegung gerade einmal ein paar Dutzend.
Ohne den Druck aus der Bevölkerung (darauf reagieren Politiker immer sehr schnell!) wird sich auch in Fessenheim so schnell kaum etwas ändern.
Alte Eier faulen, und faule Eier stinken fürchterlich - schon bevor sie zerbrechen.