BREISGAU-HOCHSCHWARZWALD. Vom Baskenland bis nach Belgien sind die Radfahrer der Bewegung "Alternatiba" unterwegs, um für Klimaschutz und gegen Atomkraft zu werben. Auch in Tunsel machten sie Station – und knüpften dort unfreiwillig Kontakt mit der deutschen Polizei, als 16 Beamte die Personalien der Radler aufnahmen. Die Umweltaktivisten sprechen von Schikane und unverhältnismäßigem Vorgehen, Polizei und Staatsanwalt von einem normalen Vorgang, der auf Bitten der französischen Behörden stattgefunden habe.
Bei der Gartenkooperative in Tunsel machten die knapp 30 Klimaschutzradler Halt, um sich verpflegen und sich das Modell der 2009 gegründeten ökologischen und sozialen Gemüseanbauinitiative vorstellen zu lassen. Zuvor waren sie von Mulhouse nach Fessenheim gefahren und hatten dort nach eigenen Angaben vor den geschlossenen Toren des Atommeilers dessen Stilllegung gefordert. Diese rund 30-minütige Demonstration fand unangemeldet statt, was die französische Polizei auf den Plan rief. Sie habe – so berichtet die Radgruppe – vor der Grenze mit einem massiven Aufgebot die Personalien der Radler aufgenommen. Ihnen wurde unterstellt, sie hätten das Akw-Gelände stürmen wollen. Stimmt nicht, sagt Luciano Ibarra von der Tunsler Gartenkooperative, der die Radler begleitet und ihren Besuch im Breisgau mitorganisiert hat. "Es handelte sich nach 2300 Kilometern um die erste Polizeikontrolle, zuvor hat es nirgends Probleme gegeben." Ganz im Gegenteil: Tage zuvor war die Bewegung von der französischen Umweltministerin Ségolène Royal ausgezeichnet worden.
Doch die zweite Kontrolle sollte nicht lange auf sich warten lassen: Als sich die Radler nach zwei Stunden Aufenthalt in Tunsel Richtung Freiburg aufmachen wollten, fuhren sieben Streifenwagen der deutschen Polizei bei der Gartenkooperative vor und 16 Beamten stiegen aus, um abermals die Personalien der Klimaschützer festzustellen. Auch ein Polizeihund war mit dabei. "Wir waren überrascht von dieser massiven Polizeipräsenz und konnten die Kontrolle nicht nachvollziehen. Die Zusammensetzung der Gruppe war eine andere, die Radler aus Frankreich waren dort schon kontrolliert worden", sagt Ibarra. Die Polizei habe sich wenig kooperativ gezeigt, schildert er den Auftritt auf dem Privatgelände der Kooperative. "Der Einsatzleiter war nicht gesprächsbereit und für vernünftige Nachfragen über den Grund des Einsatzes nicht zugänglich." Es sei lediglich erklärt worden, dass die Polizei Anordnungen der Staatsanwaltschaft befolge. Ein Anruf bei ihrer Anwältin habe den Vertretern der Gartenkooperative gezeigt, "dass einiges geklärt werden muss, bevor die Polizei einfach mal so auf Privatgelände kommen und eine Versammlung derart stören kann." Ein Gespräch mit der Rechtsanwältin wurde von den Beamten jedoch abgelehnt.
Der Einsatzleiter habe ausdrücklich und mehrfach daraufhingewiesen, dass die Polizeibeamten im Rahmen der Rechtshilfe für Frankreich handeln, sagt Polizeisprecher Dirk Klose auf Anfrage der BZ. "Der Kollege hat vor Ort keine Veranlassung gesehen, mit der Rechtsanwältin zu sprechen. Sie wollte die Personalienfeststellung an sich vom Tisch bringen. Die aber war nicht diskutabel, denn wir hatten eine entsprechende Anordnung der Staatsanwaltschaft", so Klose weiter. Der Polizeihund sei nicht zum Einsatz gekommen. Es sei nur deshalb eine Hundestreife vor Ort gewesen, weil man für die zügige Aufnahme der Personalien auf die Schnelle genügend freie Kräfte zusammengezogen habe. Auf den Vorwurf, die Beamten hätten ohne entsprechende Beschlüsse das Privatgelände der Gartenkooperative betreten, entgegnet Klose: "Ja, wir haben Privatgelände betreten. Aber ein Grundstück, das frei zugänglich war und auf dem sich die Personen aufgehalten haben, die kontrolliert wurden." Gebäude oder Wohnungen seien nicht betreten worden. Es sei zwar zu Diskussionen gekommen, Klose aber weist aggressives Verhalten der Beamten zurück.
Personalien wurden noch nicht übermittelt
Auf welcher rechtlichen Grundlage fand der Einsatz überhaupt statt? "Es handelte sich um ein Rechtshilfeersuchen der französischen Behörden, das über das gemeinsame Zentrum in Kehl im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft in Colmar gestellt wurde", erklärt Staatsanwalt Michael Mächtel. Den Klimaschützern und Anti-Atomkraftgegner wurden von den französischen Behörden Straßenblockaden, Behinderung des Straßenverkehrs, Teilnahme an einer nichtangemeldeten Demonstration vor dem Atomkraftwerk Fessenheim und Störung des dortigen Betriebs vorgeworfen. "Es handelte sich um eine Eilmaßnahme – die Personalien kann man nicht drei Tage später feststellen, das muss man sofort machen." Rechtshilfe werde dann geleistet, führt Mächtel aus, wenn die auf französischer Seite begangenen Taten auch in Deutschland strafbar seien und umgekehrt.
Hätte das Ersuchen abgelehnt und damit gezeigt werden können, dass man den Protest von 30 Fahrradfahrern vor dem Akw Fessenheim unproblematisch findet? Es steht der Vorwurf im Raum, die deutsche Justiz mache sich zum Erfüllungsgehilfen der Franzosen, die aus politisch motivierten Gründen keine Antiatomkraft-Proteste wollen. "Die französischen Behörden haben beschlossen, die Vorwürfe zu verfolgen. Das haben wir zunächst hinzunehmen. Von vornherein unsere Entscheidung an die Stelle der französischen Entscheidung zu setzen, maßen wir uns nicht an. Das würden wir umgekehrt auch nicht wollen", so Staatsanwalt Mächtel. Die Personalien seien gesichert, aber noch nicht nach Frankreich übermittelt worden. Die Entscheidung darüber stehe noch aus.
"Wir fordern die Löschung der erhobenen Daten, ein Ende der Schikanen gegen die Klima- und Umweltbewegungen und freie Fahrt für Alternatiba", sagt Luciano Ibarra. Das Rechtshilfegesuch mit dem "massiven Polizeieinsatz" stehe in keinem Verhältnis zu dem, was die kleine Gruppe Klimaschützer gemacht habe. "Dieses Bild der Gastfreundschaft hätten wir unserem internationalen Besuch gerne erspart."
Online kommentare:
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Werner Barne: 30. Juli 2015 - 09:41 Uhr
Da kann man mal sehen, mit welchen Mitteln der Staat ganz legal unerwünschte Aktivitäten vergällt.Wozu musste nach der französischen Personalienfeststellung die deutsche Polizei das Gleiche tun? Auch noch auf Bitten der Franzosen, die gerade erst kontrolliert hatten. Mit ein bisschen Mitdenken der deutschen Polizei hätte sie dies einfach abgelehnt - da unnötig und doppelt gemoppelt.Aber vielleicht wars der deutschen Polizei auch gerade recht, ein bisschen zu schikanieren?
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Gustav Rosa: 31. Juli 2015 - 00:29 Uhr
Es ist noch nicht so lange her, da haben Berichte über das AKW Fessenheim schnell die Rubrik „MEISTKOMMENTIERT“ erobert. Heute locken Schlagzeilen wie „Neuer Störfall im AKW", „Kühlwasser von Fessenheim erhitzt die Gemüter“, "AKW stellt Freundschaft zwischen Hartheim und Fessenheim auf die Probe“ und jetzt „Das steht in keinem Verhältnis“ kaum noch einen Leser hinter dem Ofen hervor. Da fragt der „Deutsche Michel“ - bezogen auf das Engagement von Antiatomkraftdemonstranten: „Haben die Leute keine Arbeit?“
Dabei ist das Thema viel zu ernst und der Ernstfall mit jedem Betriebstag wahrscheinlicher. Dazu fällt mir nur ein: „Herr, lass Hirn vom Himmel fallen!“ Ohne einzelnen Personen oder Staatsorganen zu nahe treten zu wollen - an dem besagten Montag gab es am Himmel keine einzige Wolke...
p.s. Wir von der "Montagsmahnwache Breisach“ sind in Fessenheim dazu gestoßen. Es gab im eigentlichen Sinne des Wortes keine Kundgebung. Die Klimaaktivisten und ihre Begleiter haben kurz vor einem der Tore des Atomkraftwerks angehalten und lautstark das gefordert, was laut neuester Umfrage über 3/4 der Bevölkerung auch will: Die sofortige und endgültige Stilllegung der maroden und altersschwachen Atommeiler! Es gab keine gravierende Verkehrsbehinderung, niemand hatte die Absicht, die Anlage zu stürmen und von einer „Störung des Betriebs“ kann keine Rede sein. Lediglich ein paar aufgebrachte Angestellte waren auf der anderen Seite des Tores zusammengekommen und wurden vom resoluten Werkschutz auf Abstand gehalten.
Alle Vorgänge sind ausführlich von den anwesenden Medien in Bild und Ton dokumentiert worden (im Internet einsehbar) - mit Sicherheit auch von den „Überwachungsorganen" auf französischer Seite. Die beiden Polizeieinsätze in Frankreich und in Deutschland waren überzogen und vollkommen unnötig. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass sich solch ein Missbrauch von Amtshilfe nicht wiederholt.