WEISWEIL. Sie wollen die Erfahrungen der Frauen im Widerstand gegen Blei und Atom in den 70er Jahren dokumentieren. Sie wollen der Nachwelt erhalten, was Zeitzeuginnen von Marckolsheim, Wyhl oder Fessenheim erzählen. Deshalb initiierten aktive Frauen aus der Zeit der Anti-AKW-Bewegung zusammen mit der badisch-elsässischen Bürgerinitiative einen "Verzell-Nomittag" im Evangelischen Gemeindehaus Weisweil.
"Es geht um Aufwärmen und Ermutigung", so Irmgard Maria Beckert. Die aufgezeichneten Berichte sollen Impulse geben für Projekte, Filme oder Schriften und nur ein Anfang sein.
Maria Köllhofer ist eine kleine, weißhaarige Frau mit freundlichem Lächeln. Als sie von ihrer inneren Beklemmung angesichts des weißhelmigen Aufmarsches im Morgengrauen damals in Wyhl erzählt, hätte man eine Stecknadel fallen hören können im Gemeindehaus. Ihr Wehren gegen die Gewalt der drohenden Wasserwerfer habe darin bestanden, sich fest unterzuhaken und Lieder zu singen. "Einer nach dem anderen wurde herausgeholt", berichtet sie vor laufender Kamera. Dass sie passiven Widerstand geleistet hat und deshalb von der Polizei durch den Dreck gezogen wurde, sieht die alte Dame aus Kiechlinsbergen heute als Fehler. "Das nächste Mal", versichert sie und hebt unmerklich den Kopf, "das nächste Mal würde ich aufrecht gehen." In diesen Minuten scheint alles wieder präsent: Die Angst vor der Übermacht von Polizei und Staat, das Gefühl des Ausgeliefertseins, der Wille zum Kämpfen und die Erlebnisse in Wyhl. "Alle unsere Kinder sind davon geprägt", sagt Köllhofer." Sie sind zu Menschen geworden, die nicht zu allem ja sagen".
Dass die Erlebnisse des Widerstandes das Leben verändert hat, bestätigt auch Heidrun Jäger. Die Freiburgerin erzählt von der großen Solidarität unter den unterschiedlichsten Menschen: "Heute arbeitet mein Sohn an einem großen Umweltprojekt in China".
"Die Wasserwerfer waren ein großer Fehler"
Auch Gretel Brand gehört zu den Frauen, die Flugblätter verteilt und den Platz besetzt haben. Ihre Emotionen sind am Gesicht abzulesen, als sie ans Mikrofon tritt: "Entscheidend war der Moment, in dem ich begriffen habe, dass man das Volk für dumm verkauft und unabsehbaren Schaden in Kauf nimmt. Dr. Bühlers Aufklärung hat mich aufgerüttelt. Von diesem Augenblick an konnte ich nichts anderes machen als kämpfen", so die Leiselheimerin. Marie Reine Haug aus Rammerswihl erzählt aus der Perspektive einer Elsässerin: "Da kam der Bischof von Straßburg, da kamen Leute vom Bauernverband und all die mit den roten Fahnen nach Marckolsheim. Dass die Deutschen soviel Angst hatten vor den roten Fahnen, das habe man im Elsass nie begriffen.
"Wyhl war für uns in Kaiseraugst ein Vorbild", betont Anna Maria Dieterle. Ganz wichtig sei die Erkenntnis gewesen, dass der Parteiklüngel aus den Köpfen verschwinden müsse, um gemeinsam stark zu werden, so die Schweizerin. Zu ihren Erfahrungen gehören auch Erpressung und Druck von oben: "Ich habe einen Prozess an den Hals bekommen wegen Landfriedensbruch. Viele haben ihre Arbeit verloren".
"Die Wasserwerfer waren ein großer Fehler", sieht die Königschaffhauserin Christel Merkle Parallelen zu anderen Konflikten. Was der Widerstand erreicht habe, sei auch eine Schulung zur Gewaltfreiheit, bestätigt Dieterle: "Wir haben gelernt, Gedanken zu bekämpfen statt Menschen." Ihre enormen beruflichen und sozialen Probleme beschreiben Ruth Bienmüller aus Weisweil und Trudel Schillinger aus Ihringen. "Noch Wyhl, do gehmer nitt. Do isch lutter Lumpechor", habe sie von Ihringern hören müssen.
"Heute leben viele damals aktive Frauen nicht mehr", beschwört Anna Haag die Notwendigkeit, ihr wertvolles Vermächtnis zu erhalten. "Solange Atomkraftwerke weiter laufen, so lange muss in den Köpfen frisch bleiben, um was es uns Frauen geht und gegangen ist."
Kontakt: Anna Haag, 07646 1078 oder Irmgard Maria Beckert 07641 9334428.
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Online Kommentare:
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Gustav Rosa: 30. April 2013 - 03:49 Uhr
Liebe "Frauen von Wyhl", ihr habt Geschichte geschrieben! Hut ab und Respekt vor eurer Energie und vor eurem Mut. Ihr habt Zehntausende von Menschen auf die Straße und in den Wald gebracht...
Manchmal vermisse ich heute eure Töchter, wenn wir als bescheidene Hundertschaft vor den Toren des AKWs Fessenheim stehen und weiter für eure Ideale kämpfen.