Bei der Anti-AKW-Bewegung scheinen die Hoffnungen zu schwinden, dass das Atomkraftwerk Fessenheim in der nahen Zukunft – wie von Frankreichs Präsidenten François Hollande zugesagt – tatsächlich vom Netz geht. Aktivisten im Elsass vermissen den politischen Willen. BERND PETERS
Den Grund sehen Aktivisten wie Pierre Rosenzweig und Jean-Jacques Rettig aus dem Elsass in Frankreichs fehlendem Willen zum Ausstieg. Die Atomwirtschaft sei das letzte Relikt der einstigen Weltmacht Frankreich, so Rosenzweig. Daran zu rütteln sei sogar für die französischen Grünen kaum machbar. Bei ihrem jüngsten Besuch im Elsass habe Umweltministerin Ségolène Royal sich einem Treffen mit Atomkraftgegnern verweigert, was als schlechtes Zeichen zu deuten sei.
Von den Sicherheitsgründen, die Hollande vor vier Jahren für die Abschaltung Fessenheims ins Spiel gebracht hatte, rede heute keiner mehr, so Pierre Rosenzweig von der Initiative „Stop Fessenheim“. Stattdessen werde die Abschaltung vom Betriebsstart des neuen AKW Flamanville am Atlantik abhängig gemacht. Doch dessen Zeitpunkt steht aus Sicht der Atomkraftgegner am Oberrhein in den Sternen, seit Berichte die Runde gemacht haben, dass der Reaktordruckbehälter produktionsbedingte Risse aufweise.
Rissige Druckbehälter sind ohnehin das Sorgenthema Nummer eins für die Anti-AKW-Bewegung: Sie befürchtet, dass die Druckbehälter im AKW Fessenheim längst am Ende ihrer Betriebszeit angekommen sind.
Doch keiner würde dies merken, weil es niemand kontrolliere, wie Matthias Kellner vom Aktionsbündnis „Fessenheim stilllegen. Jetzt!“ erklärt: Fessenheim, so der Ingenieur, sei mit den belgischen Reaktoren „Doel 3“ und „Tihange 2“ vergleichbar, die derzeit wegen insgesamt rund 16 000 feinen Rissen im Stahl der Reaktordruckbehälter stillstehen. Die Risse, so Kellner, seien 2012 zufällig im Stahlkörper der Druckbehälter entdeckt worden. „Normalerweise werden nur die Schweißnähte, nicht aber der Zustand des Stahlmantels untersucht.“ Der Druckbehälter umgibt die Brennstäbe im Reaktor und muss bis zu 150 bar Druck aushalten. Er ist aus zwei Schichten Stahl gefertigt und das einzige Bauteil, das weltweit noch nie an einem AKW ausgetauscht worden ist. Bei den Reaktoren in Belgien sei mittlerweile klar, dass die Risse aus dem Betrieb heraus, also nicht fertigungsbedingt, entstanden seien.
Druckbehälter, so Matthias Kellner, halten nicht ewig. Der Fortbetrieb alter Reaktoren wie in Fessenheim sei wie eine Versuchsanordnung, bei der es darum geht, wann irgendwo in der Welt erstmals so ein Druckbehälter platzt: „Im Prinzip müsste man in Fessenheim Reaktorblock 1 stilllegen und den Stahl zersägen, um überprüfen zu können, ob Block 2 noch stabil ist.“
Dazu komme, dass im Notfall das Reaktorgebäude von außen mit Wasser gekühlt werden muss. Bei einem Altreaktor wie Fessenheim muss dieses Wasser auf 80 Grad erhitzt werden, um nicht einen Temperaturschock zu verursachen, der die Stabilität des Druckbehälters gefährdet.
Da Fessenheim, so die Vermutung der AKW-Gegner, mittlerweile rissige Druckbehälter haben dürfte, könnte die geforderte Wassertemperatur für eine Notkühlung sogar bei über 80 Grad liegen. Ob aber im April 2014, als der Reaktor zuletzt mit Borlösung angehalten werden musste, weil die Steuerelemente zwischen den Brennstäben nicht funktionierten, die 80 Grad eingehalten wurden, sei unklar.
Auslöser war damals ein Zwischenfall, bei dem Steuerschränke mit Wasser vollliefen. Ein absoluter Sonderfall, so Kellner: „Da wurde eine weitere Versprödung des Druckbehälters riskiert.“ Kellner und seine Mitstreiter sind sich daher sicher: Fessenheim hat das Ende seiner Lebenszeit längst erreicht.
DIE ATOMKATASTROPHE VON TSCHERNOBYL jährt sich am 26. April zum 29. Mal. Unter dem Motto „Fessenheim abstellen“ organisiert das Aktionsbündnis „Fessenheim stilllegen. Jetzt!“ aus diesem Anlass ab 11.30 Uhr einen Protesttag beim AKW in Fessenheim. Als Rednerin wird Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, erwartet.