Deutschland soll gegenüber Frankreich auf einen Staatsvertrag dringen, der die Schließung des Atomkraftwerks Fessenheim festschreibt, schlägt Rudolf Rechsteiner vor. Der Vizepräsident des Trinationalen Atomschutzverband Tras reagiert damit auf jüngste Meldungen, die die Schließung des AKW auf 2018 verschieben. Nach den Wahlen in Frankreich könnte sogar der Schließungsbeschluss gekippt werden.
Herr Rechsteiner, hat Sie die Nachricht der Woche "Fessenheim geht erst 2018 vom Netz" hart getroffen oder waren Sie schon darauf gefasst?
Paris nimmt zum Zeitpunkt der Schließung seit Jahren höchst widersprüchlich Stellung. Präsident Hollande versprach die Schließung noch in der laufenden Amtszeit, also vor Mai 2017. Im Atomgesetz hat das Parlament dann aber etwas anderes festgelegt. Demnach muss ein altes AKW erst geschlossen werden, wenn ein neues AKW ans Netz geht. Die Frage ist heute, ob Hollande dieses Hintertürchen nutzt, um sein Versprechen zu brechen.
Ségolène Royal hat in Straßburg gesagt, der Grund sei die weiter verzögerte Inbetriebnahme des neuen Reaktors in Flamanville. Musste man deshalb nicht ohnehin mit der verzögerten Schließung rechnen?
Dass Flamanville floppt, ist längst bekannt. Auch die Frist bis 2018 ist eine Farce. Wegen der Mängel an der Reaktorhülle weiß heute niemand, ob und wann das Werk starten wird. Nach den ersten Pressereaktionen sagt die französische Umweltministerin allerdings, das Verfahren zur Abschaltung werde 2016 in Gang gesetzt und sei dann unumkehrbar. Hat sie recht?
Diese Variante hat auch der grüne Parlaments-Vizepräsident Denis Baupin an der Tras-Jahresversammlung skizziert: Im Oktober 2015 wird Flamanville zehn Jahre im Bau sein, wolle der Bauherr die Baubewilligung aufrecht erhalten, müsse er ein Betriebsaufnahmegesuch stellen, und das wiederum könne er nur, wenn gleichzeitig um Schließung von Fessenheim ersucht wird.
Ob das so eintrifft, werden wir in zwei Monaten wissen. So oder so kann ein neues Parlament die gesetzlichen Grundlagen wieder umkehren, wenn die Schließung nach dem Mai 2017 nicht definitiv ist.
Wie sieht es aus nach den französischen Präsidentschaftswahlen 2017? Welche Chancen hat die Abschaltung Ihres Erachtens noch, wenn der neue Präsident Sarkozy heißt?
Die Diskussion hat sich in Frankreich verändert. Auch Sarkozy wird erkennen, dass neue Solar- und Windkraftanlagen billiger Strom erzeugen als neue Atomkraftwerke. Deshalb sind ab 2016 Subventionen, so genannte Kapazitätsprämien, vorgesehen. Für Fessenheim wären es über 100 Millionen Euro pro Jahr. Die französische Atomaufsicht befürchtet, dass bei einem alterungsbedingten Zwischenfall ein halbes oder ganzes Dutzend alter Atomkraftwerke auf einmal stillgelegt werden muss. Das würde die Versorgungssicherheit gefährden. Die besonnenen Kräfte in der Verwaltung plädieren für eine schrittweise Erneuerung des Kraftwerkparks, und als ältestes AKW in einer Erdbebenzone steht Fessenheim ganz oben auf der Schließungsliste.
Was will Tras nun in Sachen Fessenheim unternehmen?
Unser Gesuch an die Aufsichtsbehörde ASN und an das Umweltministerium, die im Stresstest festgestellten Mängel – eine sehr lange Liste – zu beheben, läuft. Solche Nachrüstungen für den Weiterbetrieb könnten die EdF viel Geld kosten. Wenn die Behörden sie nicht durchsetzen, werden wir nicht zögern, ein neues Rechtsverfahren anzustrengen. Vorerst hoffen wir aber noch immer, dass das von Baupin und Royal angekündigte Verfahren auf Außerbetriebnahme im Oktober 2015 von der EdF tatsächlich eingeleitet wird. Dann würde ein Rückzieher auch für die Nachfolgeregierung zweifellos schwieriger.
Was würden Sie der deutschen Seite nun empfehlen?
Man darf die Fessenheim-Schließung nicht länger mit der Inbetriebnahme von Flamanville verknüpfen. Stuttgart und Berlin sollten das Zeitfenser bis Mai 2017 nutzen, bevor es zu spät ist und einen Staatsvertrag mit Frankreich und mit der EdF über den Zeitpunkt der defnitiven Schließung von Fessenheim anstreben.
Und weshalb sollte Frankreich einen solchen Vertrag unterzeichnen?
Bei der EdF dreht sich ja fast alles nur noch ums Geld. Die deutsche KfW könnte EdF vergünstigte Kredite anbieten, wie sie das auch in anderen Ländern tut. Das würde bei den aktuellen Marktverhältnissen gar nicht viel kosten, und die EdF könnte die Stromerzeugung von Fessenheim durch französische Wind- und Solarfarmen in sehr kurzer Zeit ersetzen. Mit wenig Geld könnte man sehr viel für die Sicherheit der Bevölkerung in Baden-Württemberg ausrichten. Das wäre zwar unkonventionell, dann bestünde endlich Rechtssicherheit und die Bevölkerung wäre in Sicherheit.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE ANNETTE MAHRO