Leitet der Energiekonzern EDF am 11. Oktober das Abschalten des AKW FESSENHEIM ein? Medien und deutsche Politiker kritisieren den französischen Präsidenten François Hollande, weil er das AKW Fessenheim nun erst 2018 abschalten will. Dabei übersehen Kritiker ein entscheidendes Detail, auf das Denis Baupin, stellvertretender Präsident des französischen Parlaments, hingewiesen hat.
KLAUS RIEXINGER
Ob und wann Frankreich das störanfällige Atomkraftwerk Fessenheim abschaltet, lässt sich kaum noch nachvollziehen. Fast im Wochenrhythmus gibt es neue Verlautbarungen aus der französischen Politik. In einem Interview mit der Zeitschrift Le Parisien hat Hollande in dieser Woche als Zeitpunkt„ frühestens “2018“ genannt, während seine Umweltministerin Ségolène Royal der Zeit – dieseWoche – sagte: „Der Abschaltprozess beginnt 2016.“ Was denn nun?
Doch die beiden Aussagen passen erstaunlich gut zu einem Vertragsdetail, auf das der Grünen-Politiker und stellvertretende Parlamentspräsident Denis Baupin jüngst hingewiesen hat: Die Schließung von Fessenheim ist nicht an die Inbetriebnahme des Reaktors Flamanville in der Normandie gekoppelt, sondern an dessen Baubewilligung. Weil die am 11. Oktober – also in zwei Wochen – nach zehn Jahren Bauzeit erneuert werden muss, muss die Betreiberin, der Staatskonzern Eléctricité de France, im Gegenzug mit dem Abschalten eines anderen Atomkraftwerks beginnen. Bislang wird in der Öffentlichkeit die Koppelung so dargestellt, dass erst mit der Inbetriebnahme von Flamanville ein anderes AKW abgestellt werden muss. Weil der neue Reaktortyp in Flamanville so große technische Probleme hat und nicht ans Netz kann, muss demnach auch das Abschalte neines Alt-AKW immer weiter hinausgeschoben werden.
Bei einer Versammlung des trinationalen Atomschutzverbandes Tras, der Fessenheim auf dem Klageweg stilllegen will, wies Baupin darauf hin, dass er die Koppelung an die Baubewilligung in das Energiewendegesetzein gebracht habe. Die Grünen sind Juniorpartner der regierenden Sozialisten in Paris. Das Gesetz wurde am 23. Juli verabschiedet. Gegenüber Monika Le Floch-Wierzoch, Pressereferentin der Grünen in Bad Krozingen, hat Baupin dieses Detail in einem Interview, das dem Sonntag vorliegt, ausgeführt. Auf seiner Homepage verweist der Politiker zudem auf einen Bericht der EDF-Tochter RTE, wonach technische Probleme in Flamanville einem Abschalten von Fessenheim 2016 nicht im Wege stünden.
Dem Landesumweltministerium ist diese Information ebensowenig bekannt wie dem Bundesumweltministerium, wie beide Ministerien auf Anfrage des Sonntag mitteilten.
„Das Problem der Deutschen ist, dass sie kein Französisch sprechen“, kommentiert der Schweizer Tras-Vorsitzende Rudolf Rechsteiner das vermeintliche Unwissen. Rechsteiner attestiert der Regierung Hollande „einen Willen zum Schließen von Fessenheim“. Selbst bei der EDF sieht Rechsteiner einen neuen Wind wehen, seit Hollande vor einem Jahr Jean-Bernard Lévy zum Vorstandsvorsitzenden berufen hat. Vorgänger Henri Proglio galt als Vertrauensmann des vorigen Präsidenten Nicolas Sarkozy und als kompromissloser Atomkraft-Verfechter. Rechsteiner vermutet, dass Hollande Lévy das Versprechen abgerungen hat, nicht irgendein AKW in Frankreich für Flamanville abzuschalten, sondern Fessenheim. Damit könnte Hollande doch noch sein Wahlversprechen, Fessenheim abzuschalten, einlösen. Dass sich der Abschaltprozess bis 2018 hinzieht, müsse man in Kauf nehmen.
Eine größere Ungewissheit geht für Rechsteiner von den französischen Präsidentschaftswahlen 2017 aus. Derzeit ist kaum davon auszugehen, dass Hollande wiedergewählt wird. Ein konservativer Präsident wie Sarkozy könnte die eingeleitete Stilllegung von Fessenheim aber stoppen. Deshalb empfiehlt Rechsteiner Deutschland, mit Frankreich einen Staatsvertrag abzuschließen. Der könnte so aussehen, dass sich Berlin an einem gemeinsamen Gewerbepark im Elsass beteiligt.