MARKGRÄFLERLAND. Bei seinem Amtsantritt im Mai 2012, ein Jahr nach Fukushima, hat der französische Staatspräsident Hollande versprochen, das älteste Atomkraftwerk (AKW) Frankreichs in Fessenheim bis zum Jahresende 2016 stillzulegen. Das AKW ist immer noch am Netz, und wie es aussieht, soll der seit Juni 2016 abgeschaltete Reaktorblock 2 demnächst wieder hochgefahren werden. Zum sechsten Jahrestag der Fukushima-Katastrophe sollen im Umkreis von Fessenheim verschiedene Protest-Aktionen stattfinden.
BZ-Autorin Dorothee Philipp sprach mit zwei AKW-Kritikern aus der Region, Franz Schneider und Ute Mössner, über Hoffnung und Rückschläge des seit Jahren andauernden Protests. Beide sind unter anderem bei den Montags-Mahnwachen aktiv, die seit März 2011 jede Woche in Müllheim und Breisach stattfinden.
BZ: Bei einer Jahresbilanzpressekonferenz gab der Betreiber Electricité de France (EdF) des AKW in Fessenheim bekannt, den zweiten Reaktorblock im Juli wieder ans Netz bringen zu wollen. Hat der langjährige Protest überhaupt etwas genutzt?
Franz Schneider: Das Hin und Her zum Thema Abschaltung ist schon frustrierend. Aber wir dürfen nicht nachlassen. Inzwischen sind hier in der Region auch viel mehr elsässische Gruppen am Protest beteiligt als noch vor sechs Jahren. Allerdings gab es 2012 zum ersten Jahrestag von Fukushima eine Menschenkette im Rhônetal mit über 60 000 vorwiegend französischen Teilnehmern.
Ute Mössner: Die Franzosen waren nach dem Unfall von Tschernobyl noch nicht richtig wach, auch wegen der Informationspolitik. Durch die Bildung der neuen Großregion Grand Est ist das Bewusstsein der nuklearen Bedrohung durch alte AKWs und auch End- und Zwischenlagerstätten gewachsen. Sie müssen einmal eine Karte anschauen, was in dieser Region alles an kerntechnischen Anlagen existiert. Das sind viel mehr als man vermutet.
BZ: Viele Protestnoten, Appelle oder gemeinsame Aktionen sind aber auch im Sand verlaufen...
Schneider: Es klingt unglaublich, ist aber von verlässlichen Quellen bewiesen, dass beispielsweise der Verband Réseau Sortir du Nucleaire, der am Wochenende die Aktionen in Straßburg, Freiburg und Fessenheim koordiniert, von Leuten der Gegenseite unterwandert war. Da blieben dann Petitionen liegen oder Kontakte kamen nicht zustande. Die Gewerkschaften, der Stromkonzern Areva und nicht zuletzt die EdF haben ein starkes Interesse, die Atompolitik fortzusetzen.
Mössner: Der Widerstand ist auf beiden Seiten des Rheins auch unterschiedlich strukturiert. So gibt es in Frankreich kleine Gruppen, die sich intensiv in die Materie hineingekniet haben und über ein hohes technisches Verständnis verfügen. Aber auch dort gibt es manchmal kleine Unstimmigkeiten, die eine Bündelung der Aktivitäten erschweren.
BZ: Was erwarten Sie von den Aktionen jetzt am Wochenende?
Schneider: Wir müssen die Bevölkerung immer wieder wachrütteln. Der alte Meiler wird jedes Jahr gefährlicher. Im April vor drei Jahren sind wir knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, da ließen sich schon die Steuerstäbe des Reaktors nicht mehr kontrollieren. Und mit jedem Betriebstag fällt mehr Atommüll an. Was bei den offiziellen Verlautbarungen immer zu kurz kommt, ist das Erdbebenrisiko. Fessenheim liegt in einer tektonisch aktiven Zone. Das Erdbeben am Montagabend ist der jüngste Beweis. Der Reaktor liegt 8,50 Meter unter dem Niveau der Oberfläche des Grand Canal. Wenn der Damm reißt, steht der Bereich im Nu unter Wasser. Besonders groß ist auch die Gefahr, dass der Reaktordruckbehälter plötzlich bersten kann, denn der verwendete Stahl ist nach 40 Jahren Laufzeit mit Neutronenbeschuss, enormen Temperaturen und Drücken spröde geworden.
Mössner: Und die Bodenplatte unter dem Reaktor ist gerade zwei Meter dick. In Fukushima waren das sieben Meter, und sie hat trotzdem nicht gehalten. Das macht einem schon Angst. Und man darf nicht vergessen, dass die Oberrheinische Tiefebene der größte zusammenhängende Grundwasserspeicher Europas ist. Leider ist es immer sehr vom Wetter abhängig, wie viele bei den Protestaktionen mitmachen.
BZ: Der Protest am Wochenende wird von über zwei Dutzend Organisationen und Bündnissen getragen. Welche Rolle spielen unsere Politiker?
Schneider: Sie sprechen das Problem zwar regelmäßig an, aber Ministerpräsident Kretschmann hat es auf den Punkt gebracht: Der Meiler steht in Frankreich.
Mössner: Einige der Abgeordneten und auch die Kreistagsmitglieder sind ab und zu bei Infoveranstaltungen oder Demos dabei. Die Bürgermeister lassen sich dagegen eher selten blicken. Was ich traurig finde, ist, dass wir zum Beispiel in der Freiburger Stadtbibliothek keine Flyer auslegen dürfen. Auch nicht an der Uni oder in Schulen. Dabei geht das Thema doch alle an. Auf französischer Seite wird es bis zur Präsidentschaftswahl am 23. April und 7. Mai wohl kaum eine klare Auskunft geben. Wir können nur hoffen, dass ein Kandidat gewinnt, der für weitere Verhandlungen zur Abschaltung offen ist.
Die Protestaktionen am Wochenende: Samstag, 11. März: Strasbourg, 14 Uhr, Place Adrien Zeller Treffpunkt zum Protestzug; Zusteigemöglichkeit zum Bus 11.30 Uhr Bahnhof Müllheim, Rückfahrt gegen 17 Uhr. Sonntag, 12. März: Fessenheim, 10.30 bis 17 Uhr Versammlung vor dem AKW; 11 Uhr Demo mit Musik und Info-Ständen. Samstag, 11. März, 10 Uhr, bis Sonntag, 12. März, 12 Uhr: Freiburg, Mahnwache auf dem Augustinerplatz. Infos im Internet: www.fessenheimstop.org www.bund-rvso.de/fessenheim-demo-aktion.html
ZUR PERSON: Mössner und Schneider
Ute Mössner, Jahrgang 1959, aufgewachsen in Ravensburg, lebt in der March. Jura-Studium in Freiburg, Fortbildung in Natur- und Umweltpädagogik. Seit 2004 ehrenamtlich in der Nachbarschaftshilfe March tätig; Engagiert sich seit 2011 für die Stilllegung des AKW Fessenheim. Dank ihrer Französischkenntnisse wurde Ute Mössner Ansprechpartnerin, wenn es um die Verständigung zwischen den deutschen und den französischen Unterstützergruppen geht.
Franz Schneider (73), pensionierter Lehrer (43 Jahre Schuldienst), lebt in Gallenweiler; war schon beim Widerstand gegen das geplante AKW Wyhl dabei. 1983 war er unter den Gründungsmitgliedern der Müllheimer Ortsgruppe des NABU.