STRASSBURG. In Block eins des Akw Fessenheim werden in diesem Frühjahr elektrische Bereiche überflutet. Wochen später stuft die Atomaufsicht (ASN) in Straßburg den Vorfall als hoch ein, verlangt vom Betreiber Electricité de France (EdF) eine Erklärung. Sie lässt die Anlage jedoch am Netz. Die Risiken menschliches Fehlverhalten und technische Mängel bleiben so lange, bis Fessenheim, wie angekündigt, 2016 abgeschaltet wird. Bärbel Nückles bat den Darmstädter Atomtechnik-Experten Christian Küppers um eine Einschätzung.
BZ: Bei einem Ereignis wie diesem beschwichtigt der Akw-Betreiber EdF, der Vorfall habe sich im nicht nuklearen Bereich ereignet. Ist das ein Unterschied?
Küppers: Das Problem dabei ist: Einerseits könnte man ja sagen, es ist nichts passiert, weil keine Radioaktivität freigesetzt worden ist. Andererseits handelt es sich um ein Ereignis, das man so nicht vorhergesehen hat. Schlichtweg durch Schlamperei ist es zu einem Wasseraustritt gekommen, der auch den nuklearen Bereich gefährdet hat. Man hätte die Reaktorschnellabschaltung noch machen können. Der Betreiber hat sich aber dagegen entschieden. Beim weiteren Handling hat er noch gegen eigene Betriebsvorschriften verstoßen. Insgesamt wirft das kein gutes Licht auf den Betreiber.
BZ: Reagiert die französische Atomaufsicht nicht erstaunlich zurückhaltend?
Küppers: Ich denke, es hat auch in Deutschland Fälle gegeben, in denen das Vorgehen der Betriebsmannschaft nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen. Das hat in einigen Fällen wie beim Kernkraftwerk Krümmel, wo es 2007 zu einem Transformatorbrand kam, tatsächlich zu langen Anlagenstillständen geführt. Die Aufsichtsbehörden haben Verbesserungen verlangt. Da hieß es auch nicht: Wir lassen die Anlage jetzt einfach weiterlaufen, während untersucht wird, was alles schief gegangen ist. Mir ist in Frankreich nie aufgefallen, dass die Aufsichtsbehörde so rigoros durchgreift.
BZ: Warum gab es von dem Vorfall kein genaues Protokoll?
Küppers: Aus der Schifffahrt oder aus dem Flugverkehr sind seit langem Aufzeichnungen der Kommunikation bekannt. So kann man nach einem Unfall nachvollziehen, was besprochen wurde und wer welche Anweisungen gegeben hat. Im Kontrollzentrum eines Kernkraftwerks ist das international nicht üblich.
BZ: Beim Thema Sicherheit argumentieren sowohl der Betreiber EdF als auch die Atomaufsicht, durch kontinuierliche Nachrüstung sei in Fessenheim ein Standard erreicht, der dem eines neu gebauten Akw ebenbürtig ist. Was ist Ihre Meinung?
Küppers: In Hinblick auf heute neu gebaute Anlagen wie jetzt in Frankreich den EPR, die neueste Generation von Atomreaktoren, wäre es traurig, wenn das so wäre. Die sind schon erheblich besser. Wir haben uns im Auftrag des Umweltministeriums Baden-Württemberg ja auch mit dem Stresstest befasst, der nach Fukushima gemacht worden ist. Wir mussten feststellen, dass man in Frankreich auch im Vergleich zu dem, was in Deutschland bis zum Atomausstieg gemacht worden ist, erheblich weniger nachgerüstet hat. Die älteren französischen Anlagen sind wirklich extrem weit entfernt von den Anforderungen, die man heutzutage an Kernkraftanlagen stellt.
BZ: Halten Sie den Unterschied tatsächlich für so dramatisch?
Küppers: Fessenheim wäre nach Fukushima in Deutschland garantiert unter den Anlagen gewesen, die sofort vom Netz genommen worden wären.
Christian Küppers (56) ist seit 1987 beim Ökoinstitut in Darmstadt. Er ist stellvertretender Bereichsleiter Nukleartechnik und Anlagensicherheit und erstellte im Auftrag des Umweltministeriums Baden-Württemberg ein Gutachten über die grenznahen Akw Beznau (Schweiz) und Fessenheim (Frankreich) nach den Stresstests, die in Europa im Zuge der nuklearen Katastrophe von Fukushima (2011) durchgeführt wurden.
Hier der Originalbericht: http://badische-zeitung.de/suedwest-1/kein-gutes-licht--90866481.html