Betreiber grenznaher Atomkraftwerke könnten bei einem Super-GAU kaum für die Schäden aufkommen. Die wahrscheinlichen Kosten eines Super-GAUs lägen bei 100 bis 430 Milliarden Euro.
Für die enormen Kosten eines schweren Atomunfalls sind die Kernkraftwerke in Deutschlands Nachbarländern einer Studie zufolge nicht ausreichend versichert. Die wahrscheinlichen Kosten eines Super-GAUs in Europa lägen bei 100 bis 430 Milliarden Euro, heißt es einer Analyse des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag des Ökoenergieanbieters Greenpeace Energy. Die international vereinbarte "Haftungs- und Deckungsvorsorge" sei aber meist auf dreistellige Millionenbeträge begrenzt. Damit würden die Kosten die Haftungsgrenzen um das Hundert- bis Tausendfache überschreiten.
"Es ist ein Skandal, dass Europas Atomkonzerne und Regierungen im Ernstfall die Geschädigten auf dem größten Teil des Schadens sitzen lassen dürfen", sagt Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy. So erforderten in Paris, Brüssel und Wien geschlossene Haftungsübereinkommen Deckungsvorsorgen von maximal 381 Millionen Euro. Die höchsten vom Kraftwerksbetreiber vorzuhaltenden Vorsorgesummen in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz betrügen jeweils rund eine Milliarde Euro. Zudem sei in allen europäischen Staaten außer Deutschland und der Schweiz die Haftung der Kraftwerksbetreiber begrenzt. Laut FÖS-Studie besteht weltweit jedes Jahr eine Wahrscheinlichkeit von einem Prozent, dass ein nuklearer Unfall mit einem Schaden von mindestens 312 Milliarden Euro eintritt.
In Deutschland geht 2022 das letzte Akw vom Netz. Einige Nachbarländer setzen aber weiter auf Atomenergie. Anlagen nahe der deutschen Grenze wie Fessenheim oder die belgischen Meiler Tihange und Doel machen immer wieder mit Problemen Schlagzeilen. Bei einem Katastrophenunfall in mindestens fünf sehr grenznahen Atomkraftwerken – Fessenheim und Cattenom in Frankreich sowie Leibstadt, Beznau und Gösgen in der Schweiz – müsste auf deutscher Seite umgehend evakuiert werden. "Die internationalen Übereinkommen sollten dringend neu verhandelt, die Haftungshöchstgrenzen abgeschafft sowie die erforderliche Deckungsvorsorge der Akw-Betreiber deutlich angehoben werden", empfiehlt FÖS-Studienautorin Lena Reuster. Und Tangermann fordert Deutschland auf, aus den bestehenden Haftungsverträgen auszusteigen, um bei grenznahen Atomunfällen nicht durch unrealistische Haftungshöchstgrenzen daran gehindert zu sein, die tatsächlichen Schäden bei den Verursachern geltend zu machen.