Originalbericht: http://badische-zeitung.de/basel/neue-aera-des-atomaren-risikos--83929245.html
BASEL. Seit Montag liegt das Greenpeace-Schiff "Beluga II" an der Basler Schifflände. Geladen hat es jede Menge Informationen über und Warnungen vor Europas überalterten Atomkraftwerken. Da das älteste AKW Frankreichs im elsässischen Fessenheim liegt und älteste der Welt im aargauischen Beznau, kommt Basel eine gefährliche Zentrumsfunktion zu. "Der nächste Störfall könnte diese Region treffen", warnt die deutsche Kampagnenverantwortliche Susanne Neubronner. Je älter die Meiler, desto höher das Risiko.
Die ursprünglich geplanten Laufzeiten seien bei vielen europäischen Reaktoren bereits überschritten oder stünden kurz davor. Damit sei eine neue Ära des atomaren Risikos angebrochen, sagte die Greenpeace-Vertreterin. Von den 151 betriebenen sind laut Greenpeace 66 älter als 30 und sieben älter als vierzig Jahre. Laufzeitverlängerungen sind für 46 europäische Reaktoren beantragt. Wenn die ursprüngliche Auslegungsdauer aber überschritten ist, steige die Störfallhäufigkeit trotz ständiger Überprüfungen und Nachbesserungen an. Von 71 gemeldeten Beznau-Störfällen der vergangenen zehn Jahre, sagt der Basler AKW-Spezialist und -gegner Stefan Füglister, seien mehr als die Hälfte alterungsbedingt.
Bei der Pressekonferenz zum Auftakt der Basler "Bluga II"-Woche hatte Füglister, der schon in den 70er-Jahren gegen ein AKW Kaiseraugst aktiv war, eine Studie über das Risiko durch Schweizer Altreaktoren im Gepäck. Verantwortet hat sie der ehemalige Leiter der Abteilung "Sicherheit kerntechnischer Anlagen" im deutschen Bundesumweltministerium, Dieter Majer. Der Ingenieur, der sich heute bei Greenpeace engegiert, fordert darin die Stilllegung des 1969 in Betrieb genommenen AKW Beznau und die des drei Jahre jüngeren Kraftwerks Mühleberg im Kanton Bern, dessen Reaktor derselben Baureihe amerikanischer Provenienz angehört, wie der 2011 zerstörte Reaktor im japanischen Fukushima. Neben Materialermüdung bekomme heute auch der Faktor Personal zunehmend Bedeutung, warnen die Kritiker weiter. Auch die letzten Beschäftigten der ersten Stunde, die sich mit den Reaktoren am besten auskannten, gingen demnächst in Rente und mit ihnen Know-How und Erfahrung. Da sich die Erkenntnis indes breit durchsetze, dass die Atomkraft ein Auslaufmodell sei, stehe zudem zu befürchten, dass sich kaum mehr wirklich hochqualifizierte neue Beschäftigte fänden.
Des Themas Trinkwasser in der trinationalen Region nahm sich vor den Medien der Basler SP-Großrat Ruedi Rechsteiner an. Er ist Vizepräsident des seit 2005 gegen Fessenheim aktiven trinationalen Atomschutzverbandes TRAS, richtete diesmal aber den Fokus auf die Schweiz. Die Schweizer Atomaufsichtsbehörde ENSI pflege seit langem die Auffassung, so Rechsteiner, "dass ein Unfall mit Austritt von Radioaktivität gar nicht vorkommen könne". Er sei deshalb fatalerweise in den Notfallszenarien auch ebenso wenig vorgesehen wie ein Ausfall der Trinkwasserversorgung. Anstatt beispielsweise Restwasserbecken an Schweizer AKW vorzuschreiben, würden höchstens neue Alarmpläne ausgearbeitet und Jodtabletten vorgehalten. Auch die von den Industriellen Werken Basel (IWB) derzeit vorbereitete und Millionen Franken teure diversitäre Trinkwasserversorgung, die sich in Richtung der Basler Langen Erlen und nach Deutschland orientiere, werde im Falle eines Reaktorunfalls mit radioaktivem Fallout aber wenig nutzen.
Aus der Rheinverseuchung nach dem Chemieunfall Schweizerhalle von 1986 hätten die Behörden gelernt, sagte Rechsteiner. Die Atomkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl, für deren Folgen die internationale Gemeinschaft bis heute Milliarden bezahlt hat und weiter bezahlen wird, ohne dass eine Lösung absehbar wäre, scheine dagegen bereits in Vergessenheit geraten zu sein. Erst die Katastrophe von Fukushima habe 2011 auch bei Spezialisten der Atomindustrie blankes Entsetzen ausgelöst, erinnert sich Füglister. Aber schon heute spreche der Beznau-Betreiber Axpo schon wieder davon, die Anlage sei auch geeignet für eine Lebensdauer von 60 Jahren und mehr. Greenpeace wird weiter warnen. Die Tour mit dem normalerweise für den Meeresschutz eingesetzten Segler ist zu diesem Zweck am Samstag in Fessenheim gestartet und endet im Juni nach 15 Stationen an Rhein und Mosel in Kalkar.
Das Greenpeace-Schiff an der Basler Schifflände bietet eine Ausstellung zu überalterten AKW mit öffentlichen Führungen am 2. und 3. Mai, 10 bis18 Uhr, und 4. Mai 14 bis 18 Uhr, sowie spontan nach Möglichkeit.
Online Kommentare:
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Gustav Rosa: 29. April 2014 - 00:10 Uhr
Der Auftakt der diesjährigen "Europatour" der Beluga II fand schon am 26. April, dem 28. Jahrestag der atomaren Katastrophe von Tschernobyl, statt, als der Zweimaster von 11 bis 12 Uhr auf dem Rheinseitenkanal vor dem AKW Fessenheim gekreuzt hatte. Die schweizer und französischen Medien haben ausführlich darüber berichtet.
Nach Basel wird die Beluga II am Dienstag, dem 6. Mai 2014, in Breisach vor Anker liegen und in der Zeit von 12 bis 20 Uhr Interessierten die Gelegenheit bieten die Ausstellung zu besuchen. Dann geht es rheinabwärts weiter.
Die Antiatombewegung aus dem Dreyeckland begrüßt und unterstützt diese Aktion.