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21-04-15
Rubrik: Pressebericht, Fessenheim
Angst vor Sprödbruch im Stahlmantel

Risse im Metall eines belgischen Druckbehälters gleicher Bauart wie Fessenheim verstärken die Sorgen vor einem Gau am Oberrhein.


Danger – Gefahr! So wird vorm Betreten des Akw-Areals in Fessenheim gewarnt, allerdings würde das bei einem nuklearen Unfall wenig nützen. Foto: dpa

BAD KROZINGEN / FESSENHEIM. Würde man das Atomkraftwerk Fessenheim mit einem alten Käfer, Baujahr 1977, vergleichen, wären nach und nach alle defekten Teile ausgetauscht worden. Nur an Motor und Getriebe wagte man sich bisher nicht. Diese Originalteile haben inzwischen eine Million Kilometer auf dem Buckel, und oberflächlich fährt der Wagen noch. Aber für solch eine Laufleistung war das Material nicht ausgelegt, der Motor könnte jederzeit verrecken. Bei einem Auto trifft das höchstens den Stolz des Besitzers – aber was ist, wenn es das Akw betrifft?

Mit der Frage des Gefährdungspotenzials des elsässischen Atommeilers beschäftigen sich Kernkraftgegner des binationalen Aktionsbündnisses "Akw Fessenheim stillegen. Jetzt!" in einer Pressekonferenz in Bad Krozingen. Obwohl beide Blöcke des Kraftwerks rundum erneuert sind, ist der Reaktordruckbehälter noch ein Original von 1977. Er besteht aus Edelstahl innen und Gussstahl außen, insgesamt rund 20 Zentimeter stark. Im Inneren läuft die Kettenreaktion ab, wobei Hitze entsteht. Kontrollieren kann man die Reaktion durch Steuerstäbe, die zwischen die Uranbrennstäbe gefahren werden, und durch Borsäure im Wasser.

Einen ungewollten Beweis für die Wirksamkeit, zugleich offenbar eine Rettung vor einer nuklearen Katastrophe, brachte das Bor am 9. April 2014: Damals wurde im nichtnuklearen Teil von Block 1 ein Raum mit Relais für Steuersonden durch einen Unfall geflutet. Der Reaktor lief auf Volllast, doch die Steuerstäbe waren nicht mehr zu bewegen – Akw-Mitarbeiter pumpten hochkonzentrierte Borsäure und kaltes Wasser in den Reaktor.

Matthias Kellner, Maschinenbau-Ingenieur und Mitglied der Anti-Akw-Bewegung, hat im Internet zugängliche Quellen zusammengetragen, um sich ein Bild vom Unfall zu machen. "Ich glaube, dass es bei dem massiven Einsatz von Borsäure und kaltem Wasser auf die heiße Innenwand des Reaktors zu Sprödbruch gekommen ist", sagt er bei dem Pressegespräch. Der Unfall im nichtnuklearen Teil habe er unmittelbar auf das anfälligste, da älteste Bauteil gewirkt: den Druckbehälter. Kaltes Wasser auf heißes Metall mache jedem Kochtopf den Garaus, hinzu komme die höchst aggressive Säure. Weil es nicht das erste Mal gewesen sei, könne man davon ausgehen, dass jeder Störfall das Metall aufs Schlimmste strapaziert habe.

Beweisen lässt sich der Grad der Schädigung nicht: Bei den Zehn-Jahres-Inspektionen werde der Druckbehälter ausgespart. Er sei während der Produktion und beim Einbau kontrolliert worden, nach der Inbetriebnahme begnügte man sich bei den Revisionen mit einer Ultra-Schall-Untersuchung der Schweißnähte. Es gäbe keine Erkenntnisse darüber, wie Edelstahl unter Neutronenbeschuss und der Nähe zu Säure reagiert, wäre da nicht das Kernkraftwerk Doel 3. "Der belgische Reaktor vom gleichen Typ wie Fessenheim wurde 2012 stillgelegt, weil man bei einer großen Inspektion einmal auch die Innenseite des Druckbehälters angesehen hatte", erklärt Kellner. Dabei seien im Edelstahl Risse von bis zu 17 Zentimetern Länge entdeckt worden. Nach Ansicht von Gutachtern sind diese im Betrieb entstanden. Doel 3 fährt zwar mit höherer Leistung, ist aber jünger als Fessenheim.

Kellner: "Wir müssen uns deshalb als Teil eines Experiments betrachten, den die Nuklear-Industrie mit den Menschen in der Region anstellt: Wann zerbricht der erste Reaktordruckbehälter – und was passiert dann?" Fessenheims Druckbehälter wurden auf 32 Betriebsjahre ausgelegt, das entspreche rund 40 Kalenderjahren, die habe der Druckbehälter in Block1 bald erreicht. "Der Skandal ist, dass die französische Stromgesellschaft EDF einen Reaktor betreibt, ohne zu wissen, ob er im Unglücksfall hält", mahnt Kellner.

Akw-Gegner gehen von Materialermüdung aus

Die Zustände in Doel 3 waren erst durch eine Greenpeace-Klage auf Herausgabe der Risse-Untersuchung an die Öffentlichkeit gelangt. Die belgische Atombehörde hatte danach eine internationale Warnung herausgegeben. "Weil man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass es auch in Fessenheim Risse im Reaktordruckbehälter gibt, sollte man den zurzeit laufenden Austausch der Brennelemente in Block 2 dazu nutzen, den Behälter dort unter die Lupe zu nehmen. Das Resultat muss dann die Stilllegung sein", so Kellner. Sprödbruch, wie der gefährliche Alterungsprozess heißt, könne aber nicht nur durch Ereignisse im Reaktorkern ausgelöst werden. "Im Fall eines Unglücks im Inneren besteht die Möglichkeit, das Gehäuse von außen zu kühlen. Nur darf man das nicht mit kaltem Wasser machen, dann platzt das Metall." Die Materialermüdung der Druckbehälter in Fessenheim ist nach Überzeugung französischer und deutscher Kernkraftgegner inzwischen so weit fortgeschritten, dass ein GAU jederzeit Realität werden könnte.

Deshalb ist der Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl am 26. April Anlass für eine Demonstration in Fessenheim. In Frankreich besteht nach Meinung französischer Akw-Gegner keine Aussicht mehr, die Schließung auf politischem Weg zu erreichen. Das Kraftwerk solle jetzt im Gegenzug für die Eröffnung des EPR-Reaktors in Flamanville geschlossen werden – doch gibt es massive Probleme mit dem Druckbehälter, die Inbetriebnahme ist ungewiss. Auch plant die Regierung in Paris zurzeit nicht mehr, Geld bereitzustellen, um in Fessenheim Arbeitsplätze zu schaffen. "Das Schlimmste aber ist", sagt ein Mitglied französischer Initiativen, "in Frankreich ist alles, was mit Atom zu tun hat, der letzte Beweis dafür, dass das Land noch eine Grande Nation ist und wichtig im Konzert der Weltmächte. Das wird man niemals freiwillig aufgeben."

Was also tun? Am 29. April findet in Karlsruhe die Hauptversammlung der EnBW statt. Der Energiekonzern – Mehrheitseigner ist das Land Baden-Württemberg – ist zu 17,5 Prozent am Akw Fessenheim beteiligt. Gegner sehen hier einen Ansatzpunkt: 20 Prozent der Aktionäre müssten eine außerordentliche Versammlung fordern und diese die EnBW zum Einstellen ihrer Zahlungen an die EDF als Mehrheitseigner zwingen, solange keine Inspektion der Risse im Reaktordruckbehälter zugelassen wird.

Kundgebung am Sonntag, 26. April um 11.30 Uhr bei Akw Fessenheim.


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